Leseprobe

„Stelle Dir einen Knaben vor, von dicken schwulstigen Wuchse, mit blaßem Gesicht, schwehren Oden und immer nagenden Husten, dicken Leib und Kopfe, auf welchen die Haare von Ungeziefer wimmeln, Beine welche von der englischen Krankheit Circelkrumm gezogen, unten so dick wie oben, mit schiefen Knöcheln und einwärts stehenden Füssen, und dabey biß ins vierte Jahr mit einen Zilp von gekaueten Brode herumging, - Dieß war meine Gestaldt in meiner ersten Jugend soweit ich mich zurük erinnere, dabey vielen Hang zur Sauerey, und naschhaftig, so daß vor mir keine Eßwaren, sogar der Ram auf der Milch nicht sicher war, sehr furchtsam, so daß ich abends mir nicht gedrauete die Beine unter den Tisch zu hängen, weil ich glaubte: ein böses Ding würde mich dabey anfaßen, in jeden finstern Winkel sahe ich Gespenster, das Bild der sechsten Bitte im kleinen Katechismo war öfters der Gegenstand meiner Bedrachtung, wobey mir die Haare zu berge standen;“ (S. 8)

„- Ein Gemisch von Bedäubung, Desperation und Verzweiflung, bemächtigte sich meiner. So fast in der Wuth ergrif ich das schuldlose Thier, band ihr einen Stein an den Halß und warf sie in das nächste Wasser - - Schon war ich einige Schritte zurük gegangen, als ich mich nicht enthalten konnte wieder umzukehren, und nocheinmal nach meinen guten schmeichelhaften Thiergen zu sehen; Und ich sahe sie mit ihrem Steine am Halse gräulich mit dem Todte kämpfen - Mit einer heftigen Alteration, unter einen Strom von Trähnen rufte ich Gott um Rache an, die Hände vors Gesicht haltend kehrte ich zurük - Eine Auserotendliche Bangigkeit und Diefsinn quälte mich viele Wochen - Lache mich nicht aus mein Freund; auch du wirst dir einen Freund an einem Thiere suchen wenn es sonst niemand gut mit dir meint.“ (S. 16)

„Eine Hauptbegebenheit welche einige Jahre früher geschahe, war die Confirmation, oder die Aufnahme in die Gesellschaft der erwachsenen Christen. [...]
Durch Fleiß und Anstrengung faßte ich auch alles daß mir von allen nicht ein Wort fehlte, bey den Privatexamen bey dem Schulmeister, welche ich besuchen mußte erhielt ich jederzeit das beste Lob, indem ich die vielerley Fragen und Antworten, welche bey Erklärung der Hauptstüke vorfielen am besten fassen konnte. Doch als wir nachgehendes, bey Ihro Hochehrwürden den wohlgenährten Hl. Pastor zur völligen Ausarbeitung kahmen, verlohr ich mein Ansehen ganz, und meine Mitcatichumeen erhielten das Uebergewicht vor mir, ob selbige schon in Beantwortung der Fragen und Auswendiglernen mir nicht gleich kamen; und ich bemerkte sehr teutlich, daß der dikbäuchigte geistliche Herr Fechtmeister, oder Flaußenmacher die schwehresten Fragen und Vernunftaufgaben absichtlich auf mich richtete, doch half mir mein gutes Gedächtnis und Überlegungskraft immer gut durch.“
(S. 20)

„Nach verschiedenen Vorbereitungen endlich fing man die Beschulung mit uns an: Der erste Tummelplatz war auf dem Gewandhause; Unsere Lehrer waren mit tüchtigen Stöcken versehen. So wie Mosis dort vor Pharao, und denen Israeliten Wunderthaten mit seinen Stabe verrichtete, eben so thaten auch diese Herrn Wunder mit ihren Stöcken. [...] Gewiß würden wir die militärischen Künste nie so perfect und tactmäßig erlernet haben, wenn wir nicht durch die simpathieische Kraft dieser Korporalsstöcke, in unser Gedanken und Kräften aufgemundert und gestärkt, und unsere Lust verneuert worden währen; Und dieß dadurch, daß sie unsere Schulterblätter, und Hintertheile der Montirung von Zeit zu Zeit damit berührten; Wobey die Haut unserer Rüken und Schultern öfters die schönen Farben des Regenbogens spielten.“ (S. 44)

„Hier schlugen wir unsere Zelte auf, das noch stehende Korn wurde bein ersten Ausrüken darnieder gedreten; Ein empörender Anblik war es vor einen vernünftigen Menschen: Infanderie Linien im langen Korne biß an den Halß hin und wieder marschiren, und manöveriren zu sehen, vor welchen die Commandeurs zu Pferde, gleichsam als auf einen Siegeswagen sich brüsteten; Man schien erbittert wenn das Fußvolk die Verwüstung nicht ganz bewirken konnte, und ließ die Kavallerie kommen, deren Huffe die stolzen Halme besser zusammen arbeiteten. Sommersaaten, und Erdbirnen leisteten nicht so viel Wiederstandt: In einigen Tagen war der Sieg wieder die schönen Fluren vollendet, und die ganze Gegend einer Afrikanischen Sandwüste gleich gemacht; Worauf ein Triumpfzug vor Ihre Durchlaucht Herrn Friedrich August gehalten wurde -“ (S. 56)

„Der Krieg war das Schiksaal welches alle meine vorigen an Härte überdraf: Da habe ich erfahren wie Menschen gegen Menschen, die Menschheit ausziehen konnten, wo sie sich gegenseitig als einen verworfenen Unrath von der Erde zu verdilgen trachteten; Da man alles Gefühl verbannte, und mit satanischer Wuth allen Wohlstand zertrümmerte; Wo man das Ansehen der Grossen spottete, und den ruhigen und friedlichen Hüttenbewohner die schreklichsten Drangsaale zufügte, und ihn behandelte, als ob er nicht mehr auf die Welt gehörte.“ (S. 111)

„Ungeheuer, in Menschengestalt, in schwarzen mit blechnen Schild besezten Schako, und grauen Kitteln, wimmelten zu tausenden, mit einem Gebrüll fremder Sprache, um, und in unsern armseligen Hütten. Von grausamer und schändlicher Raub-Begierde gedrieben raften sie alles weg was ihnen vor die Hände kam, selbst die Kleyder vom Leibe und Schuh von Füssen muste man unweigerlich an sie überlassen, alles wurde umgestöhrt, herumgeworfen und vernichtet; Alles wurde erbrochen und ruiniret. Alle schmuzige, staubige und berauchte Winkel, unter den Ofen und Bänken, auch in den obersten Gipfel des Haußes, wurden fort und fort mit Ungestüm durchwühlt und durchkrochen, und wo 99. schon gesucht hatten, glaubte doch der 100te noch etwas zu finden.“ (S. 125f)

„War es solche große Sünde, daß ich mir unter den damaligen Umständen einen Schiebbokvoll Holz im königl: Walde holte? Wönigstens beist mich mein Gewissen nicht hierüber; Waren wir nicht den schreklichsten Uebeln Preiß gegeben? Wo waren unsere Beschüzer, unsere Beherscher, und diese Geldgierigen Richter, als gierige Raubvögel uns biß aufs Gerippe entfleischten? Sie waren geflohen, waren zu schwach sich selbst zu schüzen, niemand wollte und konnte uns mehr vertheitigen! Nach überstandener Gefahr haben sie sich wieder eingestellt, ihren Bosten wieder eingenommen, mit stolzer Miene machen sie nun Jagt auf uns elenden, wehrlosen; trozig und hohnlachend verachtet man unsern Versuch zu Bitten und Entschuldigungen, man dreuet mit Excution und Gefängnis - - Doch es wird Mittel geben, sich künftig vor euch zu hüten, in eure Mitte sollt ihr mich nicht mehr kriegen, immerhin küzelt euch mit diesen Blutgeld - - doch genung.“ (S. 143)

„Ich wurde Soldat. Das heist: Ich kam unter eine Menschenclasse welche in jeden Bedracht, die beste nicht ist: Stolz, Prutalität, Pöbelhaftigkeit und Aberwiz, waren die eigenthümlichen Eigenschaften, welche ich bey Hohen und Niedrigen sahe. Die alte Sage: Wer bey den Soldaten nicht gescheit wird, wird es nirgends, fand ich nicht in jeden Fall gegründet: Wenn es auf Ordnung und Reinlichkeit ankömmt, möchte dieser Spruch schon wahr sein; Kömmt es aber auf Tugent, Sittlichkeit, und gute Lebensart an, möchte hier die Schule wohl schlecht ausfallen. Und gildt es Wiz und Verschlagenheit, so wird der welcher schon ein halber Narr ist, hier zum ganzen gemacht: Dieß habe ich aus eigener Erfahrung.“ (S. 164)

Johann Christian Teich

Mangelhaftigkeit und Unvollkommenheit des Menschlichen Wesens

Eine simple Erzehlung aus dem Gange der Schiksaale,
Eines in der niedern Volksklasse gebohrnen, erzogenen, und abgelebten, von ihm selbst beschrieben

Faksimile und kommentierte Textausgabe

 

Herausgegeben und kommentiert von Axel Teich Geertinger

Die eigenhändige Lebensschilderung des 1763 geborenen Webers Johann Christian Teich gewährt uns einen seltenen Einblick in das Leben eines Dorfbewohners in Sachsen um 1800. Ungewöhnlich zwar durch seine Wissbegierde, Neigung zur Grübelei und vor allem die Beherrschung der Schriftkunst, schildert uns Johann Christian Teich fünf Jahrzehnte aus der Sicht eines gewöhnlichen Dorfbewohners. Die französische Revolution erscheint weit entfernt, unübersehbar dagegen die Verwüstungen auch in Sachsen durch die napoleonischen Kriege, die Johann Christian Teich aus nächster Nähe miterlebt.