Geschichte vererbt: auf den Sohn Johann Christian Teich, " " Enkel Heinrich Traugott "
Mangelhaftigkeit und Unvollkommenheit des Menschlichen Wesens,Eine simple Erzehlung aus dem Gange der Schiksaale,
Eines in der niedern Volksklasse gebohrnen, erzogenen, und
abgelebten, von ihm selbst beschrieben.
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Anmerkung mit schwarzer Tinte (Heinrich Traugott Teich) |
Von demselben Verfasser:
Johann Christian Teich.
Johann Christian Teich.
Anmerkung mit schwarzer Tinte (Heinrich Traugott Teich) |
Weber in Harthau bey
Bischofswerda
(Grossharthau)
geboren in Kleinharthau
15/3.1763
(Grossharthau)
geboren in Kleinharthau
15/3.1763
Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich?); hervorgehoben mit Kugelschreiber (Brigitte Teich) |
Siebenjähriger Krieg
1756 - 63 (Bt)
1756 - 63 (Bt)
Anmerkung mit Kugelschreiber (Brigitte Teich) |
1te Periode
(Ein Zeitraum
= 10 Jahre
= 10 Jahre
Rechts oben: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Geliebter Freundt!
Man hat der Lebensgeschichts Beschreibungen so viele; Alle sind aber von grossen
berühmten Männern, ob es gleich nicht alles Könige und Fürsten, oder Grafen
gewesen, so sind es doch große Gelehrte, oder solche, die mit gemachten großen
Thaten, und Avanturen?
welche die
Corioßität reizen, prahlen können, mehrentheils aber verschweigen sie sorgfältig
alle Menschliche Schwachheiten und Fehler, so daß man glauben solte daß diese
Männer ganz vollkommen gewesen; Noch nie hat aber von meiner Volksklasse sich
Einer seine Lebens Geschichte aufgeschrieben, sondern man lebt und lebt, lebt
man glüklich, so freut man sich, ist man unglüklich so lammendiert?
man und
bestürmt den Himmel mit beten, ist man wieder glüklich so vergist man das
unglükliche balt wieder, und wenn es dann aus ist, so geht man den Weg aller
Welt.
Abenteuern |
lamentieren: jammern, klagen |
1te Periode
Solte aber eine Lebensbeschreibung von einem Manne aus der niedrigen
Volksklasse, wenn selbige so recht natürlich vorgetragen würde nicht auch
gewissermaaßen indreßant und lesenswerth seyn? Ich will einen Versuch machen,
lies ihn Freund, Du wirst zwar einen grossen Abstand von jenen derer grossen
Männer finden, Du wirst an statt jener gekünstelten Reden, eine simple naive
Erzehlung welche Dir treu alles Vorgefallene nach seiner wahren Beschaffenheit
vorstellen wird, finden. Lies sie Freund, und bejammere mit mir den elenden
Zustandt in welchen sich die niedrige Volksklasse herum dreibt, und beherzige
mit mir den Wunsch O! daß doch diesen balt ein Erlöser erscheinen möchte.
Vier Wochen nach dem Friedensfeste des Hubertusburger Friedens?
soll ich meinen Eintritt in diesen schönen Schauplaz der
Natur gehalten haben, eben zu einer Zeit da menschlicher Unsinn in einer Zeit
von sieben Jahren Greuel der Verwüstung auf denselben verbreitet hatte, und die
Menschen sich als einen Unrath behandelt und einander verdilget hatten; Und die
noch Lebenden sich
Die auf dem sächsischen Schloss Hubertusburg geschlossenen Friedensverträge beendeten den Siebenjährigen Krieg zwischen Preußen, Österreich und Sachsen. Die Verträge wurden am 15. Februar 1763 unterzeichnet. Der Verfasser ist somit am oder um den 15. März 1763 geboren. |
15 Februar
1763
unterer Blattrand: Anmerkung |
1te Periode
glücklich schäzten und Muth fasten das künftige Leben unter
glüklichern Umständen zu geniessen.
Wie geruffen war ich da, um die angehende frohe Zeit mit zu genüssen; Doch wirst
Du Freund, finden daß der Erfolg dieser Hofnung nicht entsprochen hat.
Durch meine Geburth bin ich in die arme Volksklasse versezt worden, ich meine die
arme, denn es gibt auch wohlhabende Landleute; Es ist derjenige Theil, welcher
unter allen der ungeachteste ist; Dessen Schicksaal ist: Ganz unbekannt mit den
Gemächlichkeiten und Freudengenüßen, unter welchen ein grosser Teil der Menschen
seine Tage vergeudet, zu schmachten und zu darben: Von Kindheit biß ins Grab,
mit Anstrengung, und Aufopferung der Kräfte, bey geringer Kost durch mühsame
Arbeiten nur seine höchstnöthigen Bedürfniße nur kärglich zu erwerben, dabey
allen Druck und Verfolgungen ausgesezt, dem man das Leben und Fortkommen täglich
mehr erschwehrt, auf dessen Leiden Klagen und Bitten niemand Rücksicht nimmt,
dessen äuserliches Ansehn, geringe schmuzige Kleidung und Wohnung, Ein zu
entbehrungen, Armseeligkeit, und Ungemach, gewöhntes Gemüth anzeigt, dessen
Glieder durch anhaltende
1te Periode
harte Arbeit steif und ungeschikt geworden, dessen Umgang grob und
pöbelhaft, dessen Köpfe Wohnungen der grösten Unwissenheit, Aberglauben und
Vorurtheile sind, dessen Verstandt von jugend auf abgestumpft, zu allen klugen
Nachdenken ungeschikt alle Unmöglichkeiten und Ungereimtheithen glaubt und als
göttliche Dinge entheiliget, und ganz unbekannt mit den schönen Dingen welche
ihn in Gottes Schöpfung umgeben sein Leben hinbringt. Umgeben von dieser
Menschenklasse genoß ich meine Erziehung, und noch jezt ist es dieselbe, von
welcher ich meinen Unterhalt habe, und mich eben so wie sie zu nähren genöthiget
bin.
Mein Vater, der erste Mann, der mir auf der Welt seine Liebe und Achtung
schenkte, gald unter seinen Zeitgenossen vor einen fleißigen, guten und
verständigen Mann, und genoß eine allgemeine Achtung; Mehrere Jahre bekleidete
er eine Stelle bey den hiesigen Dorfgerichten, und bey dreißig Jahr biß an
seinen Todt ein gewisses pflichtmäßiges Aemtgen bey uns hiesigen Gerichts
Herrschaft. Für seine Religion war er ganz eingenommen, beobachtete daher
1te Periode.
die äuserlichen Gebräuche derselben genau, Gebetbücher standen in
grossen Ansehen, alle Sonnabende Abends wurden mehrere Lieder aus den Dresdner
Gesangbuch gesungen, alle Sonntag Vormittage ging er Jahr aus Jahr ein, ohne
Ansehn der Witterung in die Kirche, und Nachmittags wurde eine Predigt aus
Valery Herbergers Herzpostille?
gelesen, die Tischgebete waren besonders lang, und nur bey
äuserst dringender Arbeit muste der Erhörer mit einen kürzern vorlieb nehmen,
Geister Erscheinungen, Hexen und Gespenster machten den 4ten Articul seines Glaubensbekäntnißes?
aus, worauf er lebte und
starb.
Valerius Herberger (1562-1627): Hertz-Postilla. Die beiden erstmals ab 1613 erschienenen Bände waren in späteren Ausgaben Epistolische Herzpostille bzw. Evangelische Herzpostille benannt. |
Hinweis auf das apostolische Glaubensbekenntnis, in dem es heißt: "Ich glaube an den Heiligen Geist, eine heilige katholische [evangelisch: "christliche"] Kirche, die Gemeinde der Heiligen [...]" |
Seiner Kleingärtner Wohnung gab er seit seiner Wirtschaft einen weit besseren
Zustandt; indem er ein ansehnliches Grundstück welches seit der Schöpfung fast
ganz unnüz gewesen war, zu einer schönen Feld und Wiesenfläche umschuf, an einen
andern Orte durch ungeheure Arbeit, eine neue Wasserleitung bewirkte, und
dadurch eine schöne Gräserey gewann
.
Aus , korrigiert |
Aber leider, so wie jeder Mensch seine schwache Seite hat, hatte auch er die
seinige; Ohngeachtet des jezt gesagten, konnte er es sehr gut verdra-
1te Periode.
gen wenn das Wohnhaus und Scheune wegen Mangel an Repraturen der
Einsturz trohete, ganz gleichgüldig war er wenn bey Regenwetter das Wasser durch
Boden und Decke lief, und das Holzwerk in Fäülnis gerieth; Seit meines Gedenkens
stand die Scheune Sommer und Winter angelweit offen, weil die Thüren nicht mehr
beweglich waren, und war ein nächtlicher Zufluchtsort für die Nachbarn denen es
an Heu und Stroh fehlte; Sein Hausgeräth welches er außer der Wohnung im Brauch
gehabt, blieb mehrentheils so lange auf dem Orte ohne Ansehn der Witterung, biß
es wieder gebraucht ward, und dann war es ein Gelück, wenn ein glücklicher
Finder selbiges nicht weggedragen hatte, und so war es durchgehendes,
stundenlang wurde ofters gesucht weil nichts seinen gehörigen Ort hatte, der
Sonntagsrock und Huth blieb mehrentheils die ganze Woche in der Stube hängen. Er
konnte es auch sehr wohl verdragen wenn Winterszeit ein Schwein und etliche
Hünner in der Stube verpfleget wurden, ich erinnere mich daß der Mist mehrere
Zolle tief auf den Dielen lag. - Du wirst die Nase rümpfen Freund, aber
Gewohnheit macht
1te Periode.
alles recht, und jeder Mensch weiß seine Verhältniße als recht zu
vertheidigen; Flöh und Läuse, Ratten und Mäuse waren die Vegetablien in dieser
Haushaltung, Diebe spielten auch ihre Rolle: mehrere male brachen sie bey
nächtlicher Weile in die Stube und fügten ihm bedrächtlichen Schaden zu. Armuth,
Noth und Elend waren die drey treuen Haußgenoßen welche ihn nicht verließen. Er
wurde Wittwer als die theure Zeit?
1771 eindrat, nach zweyjähriger Haußhaltung mit einer
fremden Frau verehelichte er sich zum zweiten Mal; Nach einer ohngefehr
zwölfjährigen Ehe wurde er zum zweiten Mal Wittwer, diese zweite Ehe war eine
der unglüklichsten; Die Harmonie der Gemüther welche eigendlich das Glück der
Ehen gründen müssen fehlten hier ganz: Ewiger Zank und Beißereien, auch
Wochenlanges Schmollen sezten fast nie aus. So endigte diese Ehe auf Seiten der
Frau in einem sehr elenden, etliche Jahrlangen Krankheits Zustande, und auf
Seiten des Vaters in einem gänzlichen Ruin seiner Wirthschaft.
Teuerung (Inflation) |
Unter jezt der Länge her erzehlten Umständten hatte ich meine Erziehung; Urtheile
Freund, wie sie gewesen sey? Und was aus mir wurde?
1ter Zeitraum
Stelle Dir einen Knaben vor, von dicken schwulstigen Wuchse, mit blaßem Gesicht,
schwehren Oden und immer nagenden Husten, dicken Leib und Kopfe, auf welchen die
Haare von Ungeziefer wimmeln, Beine welche von der englischen Krankheit
Circelkrumm gezogen, unten so dick wie oben, mit schiefen Knöcheln und einwärts
stehenden Füssen, und dabey biß ins vierte Jahr mit einen Zilp von gekaueten
Brode herumging, - Dieß war meine Gestaldt in meiner ersten Jugend soweit ich
mich zurük erinnere, dabey vielen Hang zur Sauerey, und naschhaftig, so daß vor
mir keine Eßwaren, sogar der Ram auf der Milch nicht sicher war, sehr furchtsam,
so daß ich abends mir nicht gedrauete die Beine unter den Tisch zu hängen, weil
ich glaubte: ein böses Ding würde mich dabey anfaßen, in jeden finstern Winkel
sahe ich Gespenster, das Bild der sechsten Bitte im kleinen Katechismo?
war öfters der Gegenstand meiner Bedrachtung, wobey mir die Haare zu berge
standen; auserordentlich schüchtern und leutescheu so daß mich kein fremder
Mann, wenn ich alleine war, anreden durfte, da ich sogleich voller Angst die
„Und führe uns nicht in Versuchung“, üblicherweise dargestellt an der Versuchung Jesu durch den Teufel (Matt. 4, 1-11). |
1ter Zeitraum
Flucht nahm, ich erinnere mich daß, wenn ich zu einem Nachbar geschikt
wurde wo ich nicht bekannt war, ich manchmal lange verweilte ehe ich hinein
ging, wagte ichs denn, so ließ ich vor Schrecken die Stubenthüre angelweit
offen, weil ich mich schämte zu grüßen; Eine auserordentliche Furcht vor dem
Teufel und der Hölle, so daß ich wenn ich etwann ein Paar Tage nicht viel
gebetet hatte, ich in Angst gerieth, weil mir das Beten als das einzige
Schutzmittel vor Teufel und Hölle war vercommandiret worden, ich erinnere mich
daß ich einstmals vor Angst weinte, mein Vater der dies bemerkte, fragte mich,
ich eröfnete ihm meinen Kummer, welcher mir aber Drost zusprach und mit mir zu
beten anfing, diese Einfalt und Verwirrung meiner kindischen Vernunft wurde
damals, sowohl von meinen Aeltern als andern Leuten vor eine besondere
Frömmigkeit geprießen.
Auserdem aber war ich von der Natur mit einer ungemeinen Fähigkeit und leichter
Faßungskraft begabt; da nun meine Aeltern sich Mühe mit mir gaben, konnte ich
mit dem vierten Jahre schon fertig lesen, dieß lesen ward mir in der Folge eine
1ter Zeitraum
Art von Begierde und Ergözung, jedes Buch und Papir mit Schrift reizte
mich, und auch noch jzt, meine Ideen gewöhnten sich dabey zu diefen Nachdenken,
und ich sammelte mir dadurch einen grossen Vorrath von Wissenschaften, da ich
aber damals das Wahre von den Falschen nicht zu unterscheiden im Stande war, so
war diese Sammlung freilich ein Misch Masch, nur das Wunderbare reizte mich
vorzüglich, so faßte ich sehr gründlich die Geistlichen und die übernatürlichen
Sachen, ich wuste alle grosse Wunderwerke welche in Egipten,
Canaan, und
dergleichen, sein sollen geschehen, und in Jerusalem,
Nazareth, Jericho, auch in
der Wüste Sinai war ich so bekannt wie in meines Vaters Graßgarten, aber in
unsern Dorfe wuste ich wönig Häuser zu nennen; so wuste ich auch daß drey
Personen in der Gottheit sein sollen, wuste aber nicht wo ich diesen Gott suchen
und bemerken sollte, ich wußte wie viel Naturen in Christo seyen, verstand aber
nicht was das Wort Natur sagen wollte, auch wie es bey seiner Empfängniß und
Geburt hergegangen, Auch von andern Wundern so wie auch von Hexen und Gespenster
Geschichten hatte ich einen ziemlichen Vorrath profitiret.
1ter Zeitraum
Wie es bey der Auferstehung der Todten hergehen würde, und was der
Teufel dabey zu thun haben werden, wuste ich sehr genau, weil diese Dinge in der
Bibel beschrieben, und an unserer Kirchendeke zu mehrern und teudlichen
Begriffen ausführlich gemahlt waren; kurz von den Engeln und Teufeln hatte ich
genaue Kenntniß: ich wuste ihre entstehung und Bestimmung; - So irrete mein
Geist schon damals, ohngeachtet meiner guten Denkungskraft in einer dürren
Wüste, und verkrüpelte in Ansehung meiner Seele zu einem Monstrum, im gemeinen
Leben erhielt ich nicht die geringste Ausbildung: Ich blieb ein alberner
furchtsamer Wicht. Doch war mir dabey eine gewisse Achtung für Redlichkeit
gleichsam angebohren: Nie konnte ich meinen Vater etwas abläugnen wenn ich
Vergehungen beschuldiget ward.
So weit ich mich zurük erinnere waren meine Umständte höchst armseelig; Schmuzige
Lumpen waren meine Bedekung, an welche ich so gewöhnet wurde daß ich mich
hernach schämte wenn ich ein neu Stück anziehen sollte, Schuhe waren mir sowohl
Sommers als Winters eine unbekannte Sache.
1ter Zeitraum.
In Ansehung meiner Gesundheit war ich von Kindheit ein Siechling; Ein
nagender Husten mit Auswurf verließ mich fast nie, und machte mir viele
schlaflose Nächte, dabey quälte mich eine gewisse Maladie öfters biß zur
Verzweiflung: Dieß war ein starkes Brennen und Trüken im Mastdarm, daß sich
gewöhnlich gegen Abend einfand; Nach meinen Begriffen war es schon damals eine
Würkung der blinden güldnen Ader,?
aus Schamhaftigkeit verschmerzte ich es mehrentheils in der Stille, klagt ich ja
einmal darüber so wolte doch niemand auf mich hören. Unter diesen Umständen war
es kein Wunder wenn ich gegen alle Arbeidt eine Abneigung hatte, dem ohngeachtet
wurde ich von meinen Aeltern öfters mit Schlägen zu kontinuirlicher Arbeit und
zwar sizend angehalten.
Hämorrhoiden |
Im siebenden Jahre fing ich an in die Schule zu gehen, ich weiß mich nicht zu
erinnern daß ich in selbigter etwas nüzliches profitiret hätte; Man quälte mich
mit vielen auswendiglernen, und da mich meine Kameraden wegen meiner Einfalt auf
jeden Fall hudelten,?
so wurde mir die Schule zu einer Art von Quaal.
huddeln: quälen, foppen |
Im achten Jahre rafte die rothe Ruhr?
zwey Geschwister welches gesunde Kinder waren, weg, und ich blieb unangefochten.
Dysenterie |
1ter Zeitraum.
Im neunden Jahre starb mir meine Mutter nach einer sechzenwöchendlichen
Krankheit mit Geschwulst, und ich ward nun der Pfleger eines Einjährigen
Brüdergens welches sie nebst mir meinem Vater hinderließ welches Geschäft ich
die zwey Wittwerjahre meines Vaters hindurch verrichtete; Dieß war die Zeit der
grossen Teuerung 1771 u. 72. das Brod war manchmal rar im Hause, doch erinnere
ich mich nicht daß ich hätte hungern müssen, wiewohl mein Vater damals Schulden
auf Schulden häufte.
Nun endete ich meine erste Lebensperiode,?
und nun ging eine merkliche Veränderung in
meines Vaters Hause vor, welche auch grossen Einfluß auf meinen Zustand hatte.
Ich hatte mein zehendes Jahr vollendet, als mein Vater sich wieder um eine
Gattin bewarb, und nun geriethen ich und mein kleiner Bruder unter die
Herrschaft einer Stiefmutter, welche, da sie von Natur eine sehr strenge und
genaue Haußhälterin war, und das Benehmen und die Einrichtung meines Vaters
hierzu nicht paßend war, zu einer sehr bösen und unbarmher-zigen
Stiefmutter wurde. Unter täglichen gehäßigen pöbelhaften
Zänkereyen mit dem Vater, wurden
1 Lebensperiode = 10 Jahre |
zigen ergänzt (Wortschluss nach Zeilenwechsel fehlt) |
1ter Zeitraum
Ich und mein kleiner Bruder der Gegenstand ihres Haßes, konnte sie
schon die hämischen Behandlungen, mit welchen sie stetz umging an mir nicht
allemal ausüben, indem ich ihr schon etwas zu groß war, so war doch mein kleiner
Bruder denselben ganz ausgesetzt; Unbarmherzige Züchtigungen waren sein
tägliches Schiecksaal: Schon als Kind, noch im Röckgen ohne Hosen gehend, muste
er täglich eine gewisse Zahl Garn mit der Spindel spinnen, auch ander Geschäfte
als Holz und Reißiggebunde herein vor den Ofen dragen, auch sogar im Winter bey
Schnee und Kälte, verrichten; dabey nicht eher frühstüken biß er etwas Garn
zuvor gesponnen hatte, auch über Tische war er abgericht, wenn sie ihm untern
Tische mit dem Fuß einen Stoß gab muste er mit essen aufhören, -
Du staunst Freund, unwillig fragst du: "Wie, Warum gab den dieß der Vater zu?"
Der Vater wuste und bemerkte von alledem nichts, er war froh wenn er selbst
Friede hatte. Noch vieles könnte ich hiervon sagen, aber ihre Asche ruhet schon
geraume Zeit sowie auch die meines Vaters, und des Bruders; ich will sie ruhen
lassen.
2ter Zeitraum.
Konnte sie schon dergleichen anmir nicht ausüben, so hatte ich doch allen
möglichen Abbruch von ihr zu gewarten: Ich kann nicht umhin eines Streichs zu
erwähnen, welchen sie mir in meinem
dreyzehnten Jahre spielte, welchen ich zwar jezo vor unbeteudend halten würde mir
aber damals grosse Kränkung verursachte, und ihren Haß und Boßheit im höchsten
Grad verriethen: Eine Kaze mit Weißen und schwarzen Flecken, welche ich mir seit
drey Jahren aufgezogen, und so ziemlich an mich gewöhnt hatte, und sehr gut
leiden konnte, weil ich sonst keine lebendige Seele im Hauße hatte welche mir
einige Freundschaft erzeigte, wurde auf einmal der Gegenstandt ihres Haßes. Sie
erhob viele klagen über dieses unschuldige Thier, und verordnete strenge daß sie
nicht mehr gefüttert werden sollte, und warf und schlug nach ihr wo sie selbe
anhaftig werden konnte; Sie quälte mich etliche Wochen mit der strengsten
Auflage sie fort zu schaffen; Doch gehorchte ich ihr nicht, vielmehr erfand ich
Mittel mein gutes Käzgen insgeheim zu füttern, aber auch dieses entdekte sie,
wofür sie mir mit einem derben Stocke die Hin-
Aus dreyzenhnten korrigiert |
2ter Zeitraum.
tertheile vollkommen ausbesserte, und dieß in Gegenwart und Angesicht
des Vaters, welcher anstatt der gerechten Sache beizustehen, mir anrieth das
Tier weg zu schaffen. - Ein Gemisch von Bedäubung, Desperation und Verzweiflung,
bemächtigte sich meiner. So fast in der Wuth ergrif ich das schuldlose Thier,
band ihr einen Stein an den Halß und warf sie in das nächste Wasser - - Schon
war ich einige Schritte zurük gegangen, als ich mich nicht enthalten konnte
wieder umzukehren, und nocheinmal nach meinen guten schmeichelhaften Thiergen
zu sehen; Und ich sahe sie mit ihrem Steine am Halse gräulich mit dem
Todte kämpfen - Mit einer heftigen Alteration,?
unter einen Strom von Trähnen rufte ich Gott um Rache an,
die Hände vors Gesicht haltend kehrte ich zurük - Eine Auserotendliche
Bangigkeit und Diefsinn quälte mich viele Wochen - Lache mich nicht aus mein
Freund; auch du wirst dir einen Freund an einem Thiere suchen wenn es sonst
niemand gut mit dir meint.
Aus zu zu korrigiert |
Aufregung |
2ter Zeitraum.
Doch hier draf
das Sprichwort ein: Strenge Regenten regieren selden lange. Noch in ihren
besten Jahren verfiel sie in einen elenden Zu standt. Durch das kalte Fieber,
welches sie anfiel und ohne davon befreit werden zu können, Jahr und Tag an sich
hatte ward sie durch eine falsche Kur dermaßen contract,?
und mit elenden Umständten und mit
unheilbaren Schäden behaftet, daß sie sich keinen Menschen zeigen konnte, und
starb wie ein Scelet ausgezehrt in ihren besten Jahren, nachdem sie das
demüthigende Schicksaal selbst erkannt hatte, daß diejenigen welche sie gehaßt
und verfolgt hatte, ihr nunmehro Aufwartung und Versorgung leisten musten.
Aus das das korrigiert |
verkrümmt, gelähmt |
Es erfordert aber die Gerechtigkeit, wenn man von einen Menschen die schlechte
Seite beschreibt, daß man auch dabey die gute nicht vergist: Sie war bey alle
dem eine sehr gute Wirthin und Haußhälterin; Und die vielen Schulden welche sie
bey meinen Vater fand, und die Sorge selbige so bald als möglich abzustossen,
mochten freylich viel zu ihrer üblen Laune beydragen. Ohne ihre Einwirkung würde
gewiß Hauß und Hof für
2ter.
Zeitraum.
die Schulden aufgegangen seyn, und wir würden nie einige Mithülfe und
Ausstattung genossen haben. Mein kleiner Bruder entwuchs nach und nach ihrer
Strenge; Er erhielt aber nicht die beste Ausbildung, indem durch die allzugrosse
Strenge sein Gemüth nicht die beste Richtung erhielt. Jedoch hat er sich nie an
der Tochter welche sie hinterließ gerächt.
Für meine Person muß ich auch selbst eingestehn, daß ich damals noch viele
Unarten an mir hatte welche ihre üble Laune und Gehäßigkeit freylich sehr
erwecken und reizen mochten. Die Hauptursache aber war die nachläßige
Sorgloßigkeit und Hartherzigkeit des Vaters gegen uns, als wodurch sie viel
freyen Spielraum hatte; hätte er mehr Resolution und Ordnung gehalten, währe
gewiß alles ganz anders gegangen seyn.
Einen auffallenden Beweiß gaben von seiner Hartherzigkeit, als ich im Einjährigen
Kriege?
von kranken
Preußischen Soldaten, denen ich die Streu, worauf selbige gelegen sogleich als
es noch warm war aufräumen muste, und mir dabey ein übler Geruch in den Halß
fuhr, mit den Hi-
Der Bayerische Erbfolgekrieg 1778-79, ausgelöst durch das Aussterben der bayerischen Linie der Wittelsbacher 1777. Das Kurfürstentum Bayern sollte demnach der Pfälzischen Linie der Wittelsbacher (Kurfürst Karl Theodor) zufallen. Österreich erhob jedoch Anspruch auf Niederbayern und die Oberpfalz, und es kam zu einem Krieg – allerdings kaum zu eigentlichen Kämpfen – zwischen Österreich und Preußen, wobei letzteres von Sachsen unterstützt wurde. |
2.ter Zeitraum
tzigen Fieber angestekt wurde. Ich hatte dabey den traurigsten Zustandt
auszuhalten: Ganz allein ohne Wartung, ohne Pflege, ohne Arzney und Lapsaal
muste ich die Nächte in der Stube zubringen. Im Daumel der Hize bin ich öfters
von meinen elenden Lager gekrochen und auf den Dielen gelegen, oder in meinen
Unrath herumgesielt; Ich erinnere mich, daß ich um meine Nothdurft zu verrichten
biß vor die Haußthüre gedaumelt war, daselbst aber im bloßen Hemde mit den Rüken
in den kalten Koth fiel, wodurch ich einigermaßen zur Besinnung kam, aber zu
schwach war mir selbst aufzuhelfen, und nach Hülfe ruffen muste. Es war just um
die Zeit da die Pflaumen reif wurden, welche selbiges Jahr reichlich gerathen
waren, man hatte selbige aber während meiner Krankheit alle verzehrt, so gerne,
als ich hernach als ich wieder Appetiet hatte welche gegessen hätte, so hatte
man doch an mich nicht gedacht; Vielmehr wurde ich, als ich wieder herum ging,
angehalten, mit den Schiebebocke?
Rasenstreu aus den Büschn herein zu fahren, da ich nun von jeher gewohnt
Schubkarre |
2.ter
Zeitraum.
zu gehorchen, so bin ich wirklich drey Mal gefahren, wiewohl ich kaum
den leeren Schiebebok erheben konnte, hatte mich aber dadurch so übermannt daß
ich von neuen krank ward, und wieder einige Tage lägerich wurde; Dieß einzige
Beyspiel wird genung seyn meine Tage in des Vaters Hause zu schildern.
Ich war damahls in meinen 17ten Lebensjahre
ohngeachtet der schlechten Pflege, besiegte meine Natur doch dieß Fieber, und
ward nach einigen Wochen wieder hergestellt.
Eine Hauptbegebenheit welche einige Jahre früher geschahe, war die Confirmation,
oder die Aufnahme in die Gesellschaft der erwachsenen Christen. Das 14.te Lebensjahr war es da diese feyerliche
Umschaffung mit mir vorging; Sie war auch mit vielen Leiden, Sorgen und Kummer
verknüpft: Vors erste durfte ich nicht wie andere in die Schule gehen, sondern
muste die vielen Aufgaben, als ein gedruktes und auch ein geschrieben Büchel mit
langen Fragstüken, viele Sprüche aus der Biebel, Lieder und Pußpsalmen, den
Catechismus
2.ter Zeitraum
und ich weiß selbst nicht mehr was es alles war, zu hause bey meiner
Arbeit auf dem Weberstuhle, ins Gedächtniß bringen; Durch Fleiß und Anstrengung
faßte ich auch alles daß mir von allen nicht ein Wort fehlte, bey den
Privatexamen bey dem Schulmeister, welche ich besuchen mußte erhielt ich
jederzeit das beste Lob, indem ich die vielerley Fragen und Antworten, welche
bey Erklärung der Hauptstüke vorfielen am besten fassen konnte. Doch als wir
nachgehendes, bey Ihro Hochehrwürden den wohlgenährten Hl. Pastor zur völligen
Ausarbeitung kahmen, verlohr ich mein Ansehen ganz, und meine Mitcatichumeen
erhielten das Uebergewicht vor mir, ob selbige schon in Beantwortung der Fragen
und Auswendiglernen mir nicht gleich kamen; und ich bemerkte sehr teutlich, daß
der dikbäuchigte geistliche Herr Fechtmeister, oder Flaußenmacher die
schwehresten Fragen und Vernunftaufgaben absichtlich auf mich richtete, doch
half mir mein gutes Gedächtnis und Überlegungskraft immer gut durch.
Vielleicht wunderst du dich mein Freund
2ter Zeitraum.
über diese Herabsizung! Ich will dir gleich aus den Träume helfen; Als
Hauptsache kam es bey den Herrn Seelsorger auf die Eröfenung des ersten Examens
an: Ich und meine Mitcatechumeen wurden bei unserer Ankunft von den etwa
12.Jährigen Sohne des Pastors angenommen die Nahmen eines jeden aufgeschrieben,
und selbigen nach Gelegenheit jedem etwas beygefügt, zum Beyspiel: Ein schöner
Haase, Eine schöne Spekseite, oder eine halbe Tonne Bier, oder Ein Pfund Coffe
und Zucker, auch Ein Kloben?
schöne Flachs Kauten;?
ich für meine Person hatte zu meiner
Legitimation eine Butterbüchse von einer halben Kanne, welche mir meine
Stiefmutter mit vielen Verdruße gab; Natürlich blieb ich hier gegen meine
Cameraten weit zurük, und muste bey jden Examen etwas Buße dafür thun.
ein Kloben: Ein Bündel aus Flachs- oder Hanffasern |
eine Kaute Flachs: Flachs in einer bestimmten Form und Menge; ein Büschel Flachs |
Bey der lezten, und nunmehro vollendeten Richtung unserer Gemüther zur
Gottseeligkeit und den alleinseeligmachenden Glauben, erhielt ich die
ausgeleerte Butterbüchse wieder, wobey mich der auf Wohlgeschmack verständige
2ter Zeitraum
Herr Pastor fragte: Ob meine Stiefmutter auch Butter verkaufte? Als
ich dieß bejahte gab er mir folgenden Aufdrag: Sage ihr: mit ihrer Butter
verkaufte sie Leib und Seele; Und ob sie sich denn nicht der Sünde fürchte daß
sie den armen Leuten Salz vor Butter verkaufte, ihre Butter könne niemand essen
vor Salz. Er redete noch vieles in diesen Tone, mit verschiedenen beißenden
Ausdrücken fort. Urtheile Freund! Weß Geistes Kind dieser Diener der so hoch
gebriesenen Religion Jesu war? Kan auch ein Blinder einem Blinden den Weg
zeigen??-
Demohngeachtet suchte ich mit aller Anstrengung das zu werden, was ich werden
sollte, nemlich ein würdiger Genüßer des Heiligen Abendmahls. Mit Begierde faßte
ich alle den Schwall von spizfindigen und wiedersinnigen Meinungen, und
sogenannten göttlichen Geheimnißen, welche mir zu glauben aufgedrungen wurden,
auf, und füllete meinen Kopf biß zur Schwärmerey damit an, wuste mir keinen
andern Rath zu meiner Würdigkeit
2ter Zeitraum.
zu gelangen als Beten. Alle Lieder und Gebetsformuln welche einigen
Bezug darauf hatten suchte ich begierig auf, und, trosch sie durch - und dieß
mit vielen Ernst und Aengstlichkeit.
Mit vielen Mitleid sehe ich zurük in jenen Zeitpunkt! Ich blieb nicht nur der
einfältige Dropf der ich war, sondern wurde durch diese Umschaffung noch weiter
zurükgesezt; Meine Vernunft welche ohne dieß nicht die beste Richtung hatte,
wurde hierdurch ganz in die Irre gebracht; Ich glaubte mit aller Zuversicht Ein
Etwas, von welchen ich selbst nicht wuste was es war, und wie es damit zugehe.
Ich hoffte Ein Etwas, wovor mir doch nichts Bürge seyn konnte, Ich furchte mich
vor Einen Etwas, welches mir doch niemals geträumt hatte, hauptsächlich vor den
jüngsten Gericht, und - Einen unbarmherzigen tirannischen Richter, und glaubte
doch zugleich daß Gott gütig, weise und gerecht sey - Welch ein Contrast! Dieß
waren also die erhabenen Begriffe von einer Gottheit und deren Willen
2ter Zeitraum
und von der Bestimmung der Menschen, mit welchen ich ausgerüstet ward,
um in der Gesellschafft der Christen, vor den Angesicht Gottes bestehen zu
können; Und wirklich glaubte ich daß nunmehro Gott mit mehrern Wohlgefallen auf
mich herab sehe.
Was meine Gemüths Ausbildung in dieser Periode vom 10ten biß 20ten Jahre anbedrift war immer
bedauernswürdig; Eine elende Schüchternheit und Feigheit, welche durch die
unartige sklawische Erziehung erzeugt wurde, machte, daß ich mich von allen
Gesellschaften entfernt hielt, weil mich deuchte als ob man mich bey jeder
Gelegenheit auslachen und verspotten wollte, wogegen doch mein Gefühl sehr fein
und empfindlich war; und ich konnte nicht begreifen wie so viele meiner
Cammeraden davon keine Notiz nahmen, und auf kein Auslachen achteten, sondern
frisch ihren Neigungen folgten.
Meine Hauptneigung war, meinen na-
2ter Zeitraum.
türlichen Hang zu Künsten und Wissenschaften zu befriedigen: Alles was
Nachdenken und Anstrengung der Denkungskraft erforderte, war mir angenehm, und
freuete mich wenn ich einmal etwas profitiret hatte. Ich suchte dahero alles
auf, und wenn es bloß eine Spielkartenkunst oder ein Grillenspiel war, und
ruhete nicht eher biß ich in besitz desselben war; freylich war es nicht allemal
von grossen Nuzen und Werth, und meine Umstände erlaubten es damals auch nicht
mich in größere und kostspielige Dinge einzulassen, meine Begriffe blieben
dahero sehr unvollkommen, und waren ein Contrast von irrigen und wahren, von
röligiösen und abergläubischen Dingen; so wie ich sie von Erzehlungen und alten
Büchern, welche ich mit leidenschaftlicher Begierde suchte und laaß,
profitirete. Ohne mich zu rühmen kann ich sagen das mir keine Kunstaufgabe zu
schwer war; Pescheks Rechenbücher?
gaben mir in meinen einsamen Stunden
viele Unterhaltung, und noch nie wird ein Jüngling in meinen Jahren von selbst
ohne Anweisung und Lehrmeister, selbige so durchgearbeidet und
Vom Zittauer Mathematiker Christian Pescheck (1676-1747) sind mehrere Rechenbücher bekannt, u.a.: Christian Peschecks Allgemeine teutsche, Rechen-Stunden: darinnen die 5 Species der Rechen-Kunst mit unbenahmten und benahmten gantzen als auch gebrochenen Zahlen [...], Zittau 1741; auch Der getreue und gründliche Rechenmeister: welcher d. edle Rechenkunst [...] kurtz u. fundamentaliter vorträgt; anbei auch [...] mitteilet, wie man die mathemat. Decimalrechnung [...] erlernen u. erfassen soll [...], Budißin 1727 |
2.ter
Zeitraum.
durchdroschen haben wie ich: Brachte es auch hierinne zu einer solchen
Ferdigkeit daß ich unter meiner Volksklasse kühn meinen Meister suchen kann.
Auch von den Anfangsgründen der Meßkunst faste ich teutliche begriffe, so wie
auch von der Eintheilung der Erdkugel und Lage der Länder.
Noch Eins war das mir viel Viel Vergnügen und einsame Unterhaltung gab: Eine alte
Flöde welche von meinen Großvater war, fiel mir in die Hände von ohngefehr fing
ich darauf an zu stimpeln, und zu meiner Freude brachte ich einige Töne zusammen
welche eine Harmonie gaben, ich bemühete mich weiter und brachte es in kurzen so
weit daß ich verschiedene Stükgen und Melodien nach den Gehör spielen konnte:
Halbe Nächte saß ich dann öfters mit meiner Pfeife?
an einen einsamen Orte, und studirte; Auch hier ruhete der
böse Genius nicht. Meine Stiefmutter gönnete mir auch dieses unschuldige
Vergnügen nicht: Sie war boßhaft genung, mir mein Lieblings-Instrument zu zweyen
malen zu entführen und versteken - Ich ruhete aber nicht eher biß ich selbiges
beyde Mal wiederfand, ob sie gleich
Flöte |
2ter Zeitraum
selbige das zweyte Mal in ihr Bettstroh gestekt hatte. Dabey blieb ich
in gemeinen Leben sehr unwißend und kam nirgends hin, und war nicht im Stande
nach Ortschaften die Ein oder Zwey Stunden entfernt waren einen Boten zu machen,
worüber ich dann wenn Soldatenmärsche kamen oft in Verlegenheit kam.
Die Leinweberey welche mein Vater neben seiner Wirthschaft drieb war das
Medie?
worzu er mich gleichfals
bestimmete, habe auch damit immer zur Noth mein Brod gefunden
Metier |
Was meine Glüksumstände in dieser Periode anbedrift waren selbige durchgehendes
höchst armseelig: Ich muste immer in elender Kleydung worinne sich andere
geschämt hätten einhergehen, indem mir mein Vater sehr wönig anschafte, und auch
nichts zuließ daß ich mir selbst etwas anschaffen konnte. In den ersten Jahren
als ich auf dem Weberstuhle arbeitete gab mir mein Vater zwar von jeden
abgearbeiteten Stück 4. Groschen,?
jedoch wurde
ich angehalten dieß Geld zu sammeln, um mir einmal einen neuen Rock an-
1 Groschen = 10 Pfennig = 1/30 Taler |
2ter Zeitraum.
schaffen zu können; Ich machte auch wirklich einen guten Wirth, daß ich daß
andere Jahr im Stande war ein kleine Speculation anzufangen und 10. Stück roh
Garn kaufte, welches mir mein Vater welcher selbst bleichte umsonst mit weiß
bleichte; Von diesem Garne fertigte ich ein Stück Leinwand welche mein Vater
aber verkaufte und - das Geld in seiner Casse behielt: Etliche Jahre vergingen,
und ich erhielt weder Geld noch einen neuen Rock, und muste, als mir mein altes
Röckgen welches von einem Trödeler gekauft worden, zu klein ward, Einen von
meinen Vater anziehen wenn ich ausgehen wolte. Eine weiße Jacke von Moldum?
welche ich mir
kümmerlich ersparet hatte, ward mir durch Diebe welche des Nachts in die Stube
brachen nebst meinen einzigen Paar Schuhen, und mehrern Sachen, entwendet; Ich
ward daher als ich nun heranwuchs mit meinem Schiecksaal sehr unzufrieden ich
wünschte mir etwas verdienen zu können, mit vieler Bemühung brachte ich es so
weit
Molton (auch Multum): wollenes, langhaariges, auf beiden oder nur auf einer Seite gerauhtes Gewebe |
2.ter
Zeitraum.
daß ich mich vor mich beköstigen durfte und das volle Lohn von den
abgearbeiteten Stücken erhielt. Einige Zeit, so lange ich in den Väterlichen
Hause arbeitete ging die Sache gut von statten; Ich machte einen guten Wirth,
arbeitete fleißig, und befand mich in einiger Zeit in leidlichen Umständen; Als
ich aber meine Stelle verwechselte und bey einen Nachbarlichen Leinweber als
Geselle aufsaß, wollte mein Gelüksstern nicht mehr recht leuchten: Unnüze
Beschäftigungen welche ich mir in den Kopf setzte verdarben mir viele Zeit und
die Lust zur ordentlichen Arbeit verging, zumal im Sommer da ich mehretheils
allein in der Stube saß, in welcher stark eingeheizt wurde, und Fenster und
Thüre wegen eines verdammten Rotkehlgens, welches in der Stube gehalten wurde
nicht geöfnet werden durften, war es freylich kein Wunder wenn ich mich
mehretheils außer derselben aufhielt.
Haupsächlich war die lokere Gesellschafft zu der ich mich jzt gesellete mein
Verderben: Ich war nicht mehr der fleißige Arbeiter und gute Wirth wie ehemals,
ich lernete spielen
2ter Zeitraum.
und verdarb hiermit Zeit und Geld. Mein Vater der dieses bemerkte,
nahm mich wieder zu sich in seine Wirthschaft, allein es ging wieder wie
ehemals: Ich muste arbeiten und pichteln,?
und erhielt nichts.
tüfteln, mühselige Arbeit verrichten |
Hier muß ich dir mein Freund einen Vorfall erzehlen, welcher zwar meinerseits
einen hohen Grad meiner damaligen Einfalt und Mangel an Selbständigkeit, aber
auch einen besondern Hang meiner Schiksaale zu Unglük und Fatalidäten anzeigt:
Um mein 18tes Jahr, machte mein Vater doch Anstalt
zu einem neuen Roke, ich bekahm einen schönen blauen Tuchrock mit blancken
Knöpfen; Jezt ging ich viel lieber in die Kirche als vorher, besonders angenehm
war es mir wen mir viele Mädgen begegneten; Aber auch hier würkte ein böser
neidischer Genius einen Zufall wodurch mir diese Freude ganz verdorben
wurde.
Bekanntlich ist in Stolpen um Johannis?
ein Jahrmarkt, dahin ging ich um mir einen neuen Brustlatz zu
Kauffen. Natürlich wurde der neue Rock angezogen und wohlbedächtlich darinnen
24. Juni |
2ter Zeitraum.
nach Stolpen gegangen; Nachmittags kam ein heilig Donnerwetter, der
Regen fiel stromweiße vom Himmel und das Wasser stürzte Ellenhoch die Gassen
hinab. Alles flüchtete und trängte sich in die Häuser. Ich und noch mehrere aus
unsern Dorfe waren im niedern Gasthofe, in welchen eine grosse Volksmenge, und
unter andern auch etliche fremde beurlaubte Soldaten waren. Ich weiß nicht
welcher Wirrkopf es ausbrachte daß diese Soldaten einen Anschlag hätten, mich
nebst noch einigen andern Burschen anzuwerben; Wiewohl nun alles gedrungen voll,
und ein dergleichen Unternehmen schlechterdings unmöglich war, auch die Soldaten
vielleicht nicht daran gedacht hatten so waren wir doch so einfäldig daß ich und
noch einer welcher sich sehr furchte, und mir bange machte in vollen Regen und
Wasser, meines neuen Rockes ungeachtet fortschlichen, und aus der Stadt heraus
und heim lieffen, ich wurde mit meinen neuen Roke biß auf die Haut durchnäßt,
welcher dadurch so verdorben wurde, daß ich selbigen als er wieder troken war,
nicht mehr anziehen konnte, denke dir meine Verlegenheit hierüber, und auch
zugleich den üblen Standt den ich deswegen bey
2ter Zeitraum.
meinen Vater hatte, ich übergab ihn dem Schneider wieder welcher ihn
ganz umarbeitete, und da er sehr zurük gegangen hie und da einstücken muste,
bekam aber das vorige Geschik nicht wieder. So oft ich an diese Kasterophe
gedenke bin ich noch ärgerlich daß ich so dumm seyn konnte, und so zum Narren
machen ließ; Konnte ich denn nicht, wenn ich ja im Gasthofe nicht sicher zu seyn
gaubte mich fort schleichen, und in ein ander Hauß gehen biß der Regen vorbey
war? Ein teutlicher Beweiß daß man durch Dummheit, Mangel an Selbstständigkeit,
und durch Leitung anderer Dummköpfe in die grösten Verlegenheiten kommen
kann.
Wie schon gesagt, meine Sache ging bey meinem Vater nicht besser als ehemals. Nun
sann ich auf einen andern Weeg meine Lage zu verbessern; Groß und stark
gewachsen glaubte ich jede Arbeit verrichten zu können, wie ich den schon alles
was bey meinen Vater vorkam erlernet hatte. Ich wünschte bey einem Bauer in
Dienste zu kommen, getrauete mir aber diesen Wunsch meinem Vater nicht zu
eröfnen, ich faßte daher den Entschluß ohne sein Wissen sein Hauß zu verlassen,
mich in die
2ter Zeitraum
Gegend von Dresden zu begeben
um Dienst zu suchen. Lange ging ich mit
diesen Project schwanger, schrieb auch schon einen langen Brief welchen ich
meinem Vater zurüklassen wolte, worinn ich ihn die Ursache meines Abschieds
entdeken wolte; Allein, Mangel an hinlänglicher Kleidung hielten mich von Zeit
zu Zeit, von der Ausführung ab, biß ein Zufall meiner Lage ganz eine andere
Wendung gab:
Es war im Herbste des Jahres 1782. als ich bei einem nahen Freunde in Frankenthal zur Kirmst?
war, dessen Sohn aber Soldat war; Bey einem Contraspiel mit
diesen und noch einem zweiten Soldaten nebst einen mir unbekannten Burschen aus
Goldbach, versprach ich diesen zwey Soldaten,
wenn ich etwann von der Militär in
Anspruch genommen werden sollte, ich sogleich freywillig mit zu ihren Regiment
gehen wolte, welchen Discour?
der
gedachte Bursche mit anhörte. In Einen oder
zwey Monaten wurde dieser Soldat, da er mich dann sogleich anzeigt: In kurzer
Zeit wurde ich bey der Herrschaft in Anspruch genommen, ohngeachtet aller
Einwendungen welche wegen mei-
Kirmes |
Gespräch |
2ter Zeitraum.
ner schlechten Brust gemacht wurden muste ich abgeliefert werden, und
erhielt Pflicht und einen Weißen Rock! - So endigte sich mein 20tes Lebens Jahr und mit diesen die 2te Periode meines Lebens.
Aber wieder ein Beyspiel wie man sich durch unvorsichtige und unverständige
Freygebung ins Malheur bringen kann; Vielleicht würde ich nie von der Militär in
Anspruch gekommen sein, wenn ich es bey der Fatalen Kirmst nicht selbst
angestiftet.
Zu Anfange des Jahres 1783 war es, da ich von dem Grenadier Hauptmann v. Kracht,
welcher in Camenz im Garnison standt bey der Herrschaft in Anspruch genommen
wurde, wegen gemachter Einwendungen, sowohl wegen einer Unentbehrlichkeit, als
auch wegen Undüchtigkeit meiner Brustconstitution, verzog sich die Ablieferung
einige Wochen. Das verdrießliche unzufriedene Leben welches ich immernoch in
meines Vaters Hauße hatte, machte mich gegen dieses Schicksaal ganz
gleichgüldig; Ich wünschte daß ich meinen Zustandt verändern könnte, es möge nun
seyn auf welche Art es wolle, und so ging ich getrost in
3ter Zeitraum.
Febr 1783
den ersten
Tagen des Februars mit einen Unterofzier welcher mich abholte nach
Camenz; Müde
aber mit frölichen Muth erreichte ich mit meinen Führer dieß Städtgen welches
ich in meinem Leben das erste Mal sahe; Vor der Thüre eines grossen Ekhaußes
sahe ich einen Soldaten mit einer blizblanken Flinte und Degen, und eine
fürchterliche Bärmüze auf den Kopfe, stehen: Starr waren meine Augen auf
selbigen geheftet; denn dergleichen Erscheinung hatte ich in meinen Leben nicht
gesehen. Ob mir mein Führer schon bey unserer heutigen Wanderung alle Lust zu
Soldatenleben beyzubringen gewust, so ward sie doch vollkommen da ich Hofnung
haben konnte in kurzen auch ein solcher majestätischer, prächtiger Mann zu seyn.
In einiger Entfernung führte mich mein Führer in ein grosses Hauß hinein, eine
steinerne Treppe hinauf, öfnete eine Gatterthüre welche eine starkklingende
Klingel berührte die mich einigermaaßen erschrekte, er hieß mich auf einen
geräumigen Saale warten und ging zu einer Thüre hinein, in einigen Augenbliken
kam er in Begleitung eines kleinen dicken Männgens heraus. Den Huth in der oberer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
3ter Zeitraum.
Hand erwartete ich gedrost mein Schicksaal. Nu mein Sohn bist du da?
war die Anrede des kleinen diken, den man Hr. Hauptmann nannte; du sollst nicht
gesund seyn, wir wollen dir gesund machen, mein Sohn du bist glaubich ein
Leinweber? Wart nur wenn du praf exerziren wirst, und deine Brust nicht mehr
hinter den Leinweberstuhl zusammen drüken und in der freyen Luft Bewegungen
machen, so wird sich deine Brustkrankheit schon verlieren; Wobey er eine
gravitätische Soldatenpositur gegen mir machte, und sich auf den Schuhspizen in
die Höhe hob. Seid ihr nicht artige Leute? war seine fernere Rede, Daß ihr um
ein Paar Jahr Soldat zu seyn lieber ungesund seyn wollet? Er Demonstrirte mir
hernach mit vieler Beredsamkeit, wie viel Nuzen ich von den Soldatenstandte
haben würde, und was vor ein schöner Bursche werden und die Jüngfern sich um
mich zanken würden. Und wirklich faßte ich ein Vertrauen zu diesen Manne, und
ärgerte mich einigermaaßen dass ich mich geweigert hatte Soldat zu werden, und
wenn ich nicht angenommen und so wieder heim geschikt worden, währe mir es sehr
zum Ver-
3ter Zeitraum.
druße gewesen. Endlich nachdem Johann einen Stiefelknecht gebracht und
ich die Stiefeln ausgezogen muste ich unter das Maaß treten, ich maaß 72.?
war
also zu meinen Glük groß genung. Nun erhielt ich 8. Gl.?
Löhnung, und mein
Unterofzier erhielt befehl: mich auf die Hauptwache zu bringen, wo ich noch
einen der auch mein Glük hatte andraf. Hier fand ich noch mehrere solche Männer
wie ich vor jener Thüre gesehen hatte, konnte sie mir auch nunmehro ordentlich
bedrachten. Ich erhielt nebst meinen Kammeraden den hintresten Winkel auf der
Pritsche zu unsern Aufenthalt; Wiewohl ich sonst gerne schlief, kam doch diese
Nacht kein Schlummer in meine Augen. Den andern Morgen mit Tagesanbruch wurde
nach hergebrachten Gebrauch Brandewein gedrunken; Ich kriegte einen weißen Rock
anzuziehen, und ein steifer Zopf an die Haare gebunden auch Loken auf die Ohren
gemacht. ein Huth mit weisser Borde aufgesezt, und ein alter Tornister
umgehangen, und nun glaubte ich wirklich etwas vorzustellen; Doch kaum war dieß
geschehen als ein Korporal erschien, welcher mich nebst meinen Kameraden
abholte, und nach der 5. Meilen weiten
72 Zoll, d.h. ca. 170 cm |
Groschen |
3ter Zeitraum.
war, an diesen Tage empfand ich den ersten Vorschmak von den Strapazen der
Soldaten; Des Marschirens ungewohnt, muste ich nach einer schlaflosen Nacht
diese 10. stündige Tour machen: Mit sehnlichen Verlangen, biß zum liegenbleiben
Stadt Grossenhain führete, woselbst der Regiments Staab in Garnison
müde, erreichten wir gegen Abend den Ort unserer bestimmung, mit steifen Beinen,
und verwundeten Füssen, musten wir unsern Führer noch durch verschiedene Gassen
folgen, biß wir endlich ganz erschöpft in einen Gasthauße einquartirten, und uns
wieder etwas zu gute thaten.
Am folgenden Morgen, nachdem der Korporal uns neu frißiret, und die
Mondirung?
angezogen, und
einen Säbel umgeschnallt hatte, ging es wieder fort, in verschiedne Häuser Trepp
auf und Trepp ab; In den einen musten wir uns biß aufs Hemde ausziehen, ein Mann
begrif und befühlte uns am ganzen Leibe, so wie der Fleischer ein fett Schwein
begreift, ohne daß ich wuste warum, In einen andern Hauße wurden uns die
Kriegsartikel bekannt gemacht, und unter einer gewissen Ceremonie musten wir
einen Eid ablegen, währender Zeit ein alter zerrißner Lappen an einen Spieß
gezwekt, über
Montur, Uniform |
3ter Zeitraum
uns beide gehalten wurde. Als dies vorbey, wurde uns in einen andern
Hause von einen alten Manne, der seine podagraischen Füsse auf einen Küssen
liegen hatte ein grosser Commerdez?
von den Verhältnißen
eines guten Soldaten vorgemacht, nach Beendigung dessen erhielten wir beide
jeder 1. rh.?
Handgeld; und zugleich eine Capitulation?
auf 6. Jahr, wovor der
Gerichtshalter gesorgt hatte; in welcher mir versichert wurde: Wenn ich nach
Beendigung der derselben einen soliten Nahrungs Bewerb
durch ein obrichkeitlich Attestat könnte darthun, ich ohne Umstände entlassen
und mit einem ehrlichen Abschiede versehen werden sollte.
mit jmd. Kommerz/Kommers haben: regen Umgang pflegen |
Reichstaler; 1 Taler = 30 Groschen = 300 Pfennig |
Militärdienstvertrag |
Nun war unsere Sache hier beendiget. Unter allen den Vorgängen aber war mir der
Thaler Geld am liebsten, Wir sahen hernach die Wachparade mit an, wobey mich die
schöne Music ganz begeisterte, und ich verfiehl auf den Gedanken mir einen Stok
zu kaufen, weil ich sahe daß ein Stok für einen Soldaten sich gut ausnahm, wie
ich an den Unterofzieren derer viel zugegen wahren bemerkte. Doch wurde diese
Grille mir von einen bekannten Tampour ausgeredet; so viel Eitelkeit hegte ich
schon in der ersten Stunde von meinen neuen Stande. Nachmittags gingen wir den
halben Weg zurük, und trafen des anderen
3ter Zeitraum.
Tages zu Mittage wieder in Camenz ein, und kam den folgenden Tag
wieder heim auf Urlaub, mein Vater schien aber nicht den hohen Gedanken von
meinen neuen Dienst zu haben welchen ich zur Zeit noch hatte; denn ich bemerkte
daß ihm die Trähnen in die Augen traten als er mich sahe. Das merkwürdigste war,
daß meine Stelle daheim schon ersezt worden war: denn an eben den Tage als ich
zu Fahne geschworen, war die Stiefmutter welche 10. Jahr Kinderloß gewesen,
wieder mit einer Tochter nieder gekommen.
Zwey Monate währete dieser Urlaub, währender Zeit ich so zu sagen Bruder Ueberley
in meines Vaters Hause war, indem, ich weiß nicht mehr warum auf den Weberstuhl
keine Arbeit hatte, und mich mit spinnen und Lohnarbeit befassen muste. Dem
ohngeachtet glaubte ich mich so viel als möglich als Soldat aufführen zu müssen:
Die Frißur wurde immer unterhalten, ein Leinweber welcher einige Jahre in
Berlin
gewesen, war mein Freßeur; Die alte Montirung welche ich erhalten, wurde
Sonntags zu den Ledernen Bauerhosen ohne Seitengewehr in die Kirche angezogen,
und eine weißpapirne Masche prangte an meinen dreyekigten Bauernhut; Die beste
Figur mochte
3ter Zeitraum.
ich freylich nicht spielen; Iedoch verbitte ich mir hier alle
Spötteley: Der gute Wille, meinen neuen Stande hierdurch Ehre zu machen, wird
mich in etwas bey dir rechtfertigen. Die Armseligkeit in welcher ich
aufgewachsen war, machte, daß ich auch diese Kleinigkeiten hoch achtete; und
mein Wunsch war so bald als möglich ein regulärer Soldat zu seyn.
Zu Anfange des Monats Apriell muste ich auf erhaltne Ordere, so wie alle
Recrouten vom Regiment bey der Kompagnie erscheinen. Am selbigen Tage nahm ich
auf immer Abschied von meines Vaters Hause, denn ich selbiges niemahls mehr
ordentlich bewohnet: Es geschahe ohne Tränen mit 8. Gl. Geld welche mir mein
Vater mitgab, gegen Abend gelangete ich in
Camenz an, muste aber selben Abend
nebst meinen Kammeradn in den Gasthöfen logiren, des folgenden Tages ward,
nachdem wir gehörig frißiret und gut angezogen, von einen Major welcher vom
Stabe kam eine
Revüe?
mit uns gehalten; Ein
grosser Theil von uns erhielt wieder Urlaub, worunter auch ich war, ich
nahm aber selbigen nicht an, weil ich keinen Appetit hatte wieder heim zu
gehen
Aus Rvüe korrigiert |
Revue: Parade |
Aus mahm korrigiert |
3ter Zeitraum.
Ich erhielt hierauf Qartir und 1.40 h?
rükständiges Handgeld, wovor ich mir aber
verschiedenes anschaffen muste. 10. Mann, unter welchen auch ich war, machten
eine Verstärkung der Kompagnie aus, diese erhielten neues Gewehr, neue Taschen,
auch neue Seitengewehre und Kuppel?
auch neue Bärmüze und Mondirung.
Ich gestehe es daß wir hierauf etwas stolz waren; Das erste was wir thaten war,
daß wir unsere neue Seitengewehre umschnalleten und damit spaziren gingen. Ich
weiß nicht ob wir grossen Staat damit machten denn sie waren so wie sie von der
Faberike geliefert worden. Zwey alte Soldaten welche uns aufstießen, und uns in
diesen Aufzuge sahen mochten doch Mitleid über unsere Einfalt haben; Sie liessen
sich in ein Gespräch mit uns ein, und gaben uns zu verstehen daß wir erst gebuzt
und die Kuppels angestrichen haben sollten ehwir umgeschnallt hätten. Wir
äußerten hierinne unsere Unwisseheit, worauf sich einer erbot uns solches vor 6.
Pfennige zu zeigen, und uns mit sich auf sein Qartier nahm, wo er uns die
Kuppels mit Thon anstreichen lehrte, und die Degengefäße etwas abrieb. Schon
wieder ein einfältiger Vorfall!
Heller(?); 1 Heller = ½ Pfennig |
Koppel: Lederriemen zum Tragen einer Waffe |
3ter Zeitraum
Wer nur einige Kenntniße hat wird mir zugeben, wenn ich sage: Daß ein Recrout in
den ersten Zeiten seiner Zubereitung und Bearbeitung das elendeste Geschöpf
vorstellet; Hier heißt es mit Recht ihr müst von neuen gebohren werden! Da muß
der welcher von Jugend auf, an Unordnung und Schmuz gewöhnt ist, Ordnung,
Acourateße und Reinlichkeit halten. Da soll der, welcher bisher dräge und
nachläsig war, Geschwindigkeit und Gewandheit annehmen; da soll der welcher
bisher plump und grob war, höflich und bescheiden werden. Und da soll der
welcher einen schlotterigten und knikkerigten Gang hatte seinen Körper lernen
mit einer Festigkeit und Anstande dragen; Und so lange diese Eigenschaften nicht
an genommen und erlernt worden sind, wird auch die Soldaten Adjustirung jeden
Supject übel kleiden. Und dieß war denn auch was mir so viele Anstrengung
kostete, und manche Verlegenheit darüber zu bestehen hatte.
Nach verschiedenen Vorbereitungen endlich fing man die Beschulung mit uns an: Der
erste Tummelplatz war auf dem Gewandhause; Unsere Lehrer waren mit tüchtigen
Stöcken versehen. So wie Mosis dort vor Pharao, und denen Israeliten
Wunderthaten mit
3ter Zeitraum.
seinen Stabe verrichtete, eben so thaten auch diese Herrn Wunder mit
ihren Stöcken. Wie habe ich jene biblischen Erzehlungen von der Simpathieischen
Kraft jenes Schäferstabes so gewiß geglaubt, biß ich hier einen überzeugendes
Beyspiel erfuhr; Gewiß würden wir die militärischen Künste nie so perfect und
tactmäßig erlernet haben, wenn wir nicht durch die simpathieische Kraft dieser
Korporalsstöcke, in unser Gedanken und Kräften aufgemundert und gestärkt, und
unsere Lust verneuert worden währen; Und dieß dadurch, daß sie unsere
Schulterblätter, und Hintertheile der Montirung von Zeit zu Zeit damit
berührten; Wobey die Haut unserer Rüken und Schultern öfters die schönen Farben
des Regenbogens spielten. Und da die Herrn Soldaten in allen ihren Bewegungen
sehr geschwind sein, so geschahe freylich die Berührung zuweilen etwas unsanft;
Genug, kein Spötter soll mir kommen der mir von der simpathieischen Kraft der
Stöcke des Mosii und derer der Unterofzier einen Zweifel beybringen will!
Was aber Menschen mit Menschen vornehmen! Ganzer zwey Monathe währete die
Lehrzeit, unter welcher wir einer Behandlung unterworfen waren von
3ter Zeitraum.
welcher ich nicht weiß wie ich sie nennen soll: Menschlich war sie
nicht: Glimpflicher behandelt gewiß der Polak seinen gefangenen Bär, welchen er
das Tanzen und andere Künste erlernen will, um das teutsche Puplicum zu
belustigen; Vielmehr der eitle Stuzer, welcher seinen Pudel das Aufwarten lernt,
um seiner Geliebten einen Spas mit selbigen zu machen; Man qvälte uns mit Dingen
welche mir gar nicht Soldatisch schienen balt musten wir uns als steife leblose
Statuen halten, balt die abentheuerlichen Geberden und Sprünge eines
Herleqins?
nach machen, balt den
lächerlichen Scharmüzel loser Knaben nachahmen, indes die lieben grauen Würmgen
unter den mit Pomade und Puder bepichten?
Haare ihre Malzeit in Ruhe hielten; Fürchterliche und
noch nie gehörte Flüche und Verwünschungen
begleiteten continuirlich die ganze Handlung. Hätte ich eine zärtliche Erziehung
genossen so würde ich noch mehr erschüttert worden seyn so wie viele meiner
Kammeraden ich überging alles mit einer Gleichgüldigkeit, wie wohl ich diese die
Menschheit entehrende Behandelung sehr gut fühlte, so war ich doch der
Schmeicheleyen nicht gewohnet.
Harlekins |
befestigten (verpechten) |
Aus bekleideten korrigiert |
3ter Zeitraum.
Einige Zeit hatten wir unsere Schule auf dem Gewandhause, biß es die Witterung
unter Gottes freyen Himmel gestattete. Alle meine Gelenke wurden durch die noch
nie gewohnte Anstrengung wie zerbrochen und ausgewand so daß ich einige Wochen
grosse Schmerzen litt; Doch siegte auch hier Zeit und Gewohnheit. Eine
Virtelstunde weit von der Stadt, auf der sogenannten alten Ziegelscheune an der
Königsbrüker Straße,
war der Platz unserer völligen Ausarbeitung; Milionen von
Flüchen und Schlägen liegen hier aufgehäuft! Schweiß mit Tränen waren die
befeuchtung derselben; Wiewohl es mir anfangs sehr sauer wurde, so ward es mir
doch nach und nach leicht, und ich erlernete das sogenannte Exerziren ganz
perfect, so daß ich nebst zweyen, das erste Lob erhielt von unsern Lehrern, und
ich wunderte mich hernach wie es mir im Anfange so schwer fallen konnte.
Zu Anfange des Monats Junii wurden die Beurlaubten
eingezogen, und wir Recruten wurden in die Kompagnie einrangiret; Jezt ging das
Exeziren von neuen loß biß zu Ende dießes Monats, dann wurde das Regiment
zusammen gezogen, und unsere Kompagnie kam auf ein Dorf nahe bey
Großenhayn
3ter Zeitraum
in Cantonirung;?
Einen ganzen Monat wurde wieder exerziret alle Tage zwey Mal, worauf sodann die
Musterung ward, wobey etliche von Recruten ausgehoben und unter die Mosqwetier
kamen: Ich hatte das Glück Granadier zu bleiben; Und nun war ich ein
ordentlicher Grenadier von der ersten Kompagnie des Regimens Prinz Anton. Jezt hatte ich meinen Zwek erreicht ein regulärer
Granadier zu seyn.
Einquartierung |
Zu Anfange
Augusts wurden die Beurlaubten wieder entlassen. Nun nahm ich auch
Urlaub, denn eine toppelte Ursache verleitete mich darzu: Erstens wolte ich mich
doch gerne als prievelegirter Grenadier meinen Bekannten zu hause zeigen, und
gewiß wuste ich mich jezt besser zu dragen, und eine anständigere Figur zu
spielen als auf meinen ersten Urlaub als Recrut, die ganz neue Atjustirung
kleidete mich nicht übel, zumal da ich die feste Dragung des Leibes soweit gut
erlernet hatte, nahm auch dießmal meine neue Bäärmüze mit heim, um sie in die
Kirche aufzusezen. Zweitens hatte ich doch aller meiner Vorliebe zum Soldaten
Leben ohngeachtet schon ein Haar darinne gefunden: Die schnöden Behandelungen,
welcher der gemeine Soldat von Seiten der Ofzier und aller Buckeldrescher
untergeben ist
Aus Augsts korrigiert |
3ter Zeitraum.
hatte ich mir nicht so vorgestellt; Nicht wie menschliche Mitgeschöpfe
waren ich und meine Kameraden, alt und jung bey den geringsten und
unbedeutensten Versehen behandelt; Man schien eine Heldenthat beweisen zu
wollen, wenn man den Leib eines Gemeinen wie einen hölzernen Kloz durchschlagen
ließ, und dabey recht gefühlloß sich an den herzzerschneidenden Bitten und
Lamendiren eines solchen unglüklichen küzeln?
konnte; Kurz, ich bedrachtete den
Soldaten nicht als eine Stüze des Fürsten und Vaterlandes, sondern als einen
freygegebenen Gegenstandt an welchen der Adel seinen übermüthigen Menschenhaß
auslassen konnten.
sich kitzeln: schadenfroh lachen |
Ueber dieses bemerkte ich auch, daß ich im Ganzen genommen nicht zum Soldaten
gebohren war: Mein blödes furchtsames Gemüth wurde bey der strengen Behandelung
nicht dreister, ich verlohr daher mehrentheils alle Mal die Geistesgegenwart
wenn mich ein Ofzier anredete, wobey ich den jederzeit das Predicat: Du dummer
Kerl, erhielt. Selbst bey denen Unterofzieren verstandt ich die Kunst mir durch
Beutelsteuer Freunde zu machen nicht, welches mir sehr viel Ungelegenheiten
verursachte. Schwazhaftigkeit, und kriechende Schmeicheleien, sind die
3ter Zeitraum.
besten Mittel wodurch sich ein Soldat in Ansehen bey seinen Obern
bringen kann, hierzu aber hatte ich weder Geschick noch Neigung, und wirklich
gehört eine Selbstverachtung darzu: Einen Menschen zu schmeicheln, der mich auf
jeden Fall schlecht behandelt. Ich wollte alles durch meinen Guten Willen
ausmachen; Alles was mir mit graden teutschen Worten befohlen wurde befolgte ich
auf der Stelle pünctlich, erreichte aber dadurch nie das Ansehen was manche
durch Schmeicheleien erreichten; Manche hielten sichs zur Ehre wenn sie den Hund
eines Ofziers carresiren?
durften. Dabey ward ich vor einen tükischen Kerl
angesehen: Kurz und gut, das Resultat von alledem war: Wenn nachmittags eine
Eselsbank?
zur Strafe exerzierete, so war Teich dabey!
caressieren: liebkosen, streicheln |
Bank für unartige und faule Schüler |
Also zu Anfang Monats Augusts ging ich auf Urlaub,
wiewohl ich nicht wuste was ich daheim vornehmen würde, doch die Hörner schon
etwas abgelaufen freuete ich mich ich mich jezt nach einer Viermonatlichen
Abwesenheit auf meine Heymat; Ermüdet, abgelumpt, und ohne einen Heller und
Pfennig sprach ich wieder in meines Vaters Hause ein. Meine Stiefmutter welche
mich zuerst empfing machte mir kein erfreulich Compliment: Ach Gott! sagte, sie,
was wilst du hier? Wir haben selber weder
3ter Zeitraum.
Brod noch Arbeit, wir haben immer gedacht du wirst bey den Volke
bleiben.- Sie schlug mir aber vor, mich bey einen gewissen Marly?
Fabrikanten im Dorfe welcher grossen Commerz trieb zu
bemühen, ob ich etwa bey selbigen in Arbeit kommen könnte. Ich that dieses und
wirklich ward ich in Arbeit aufgenommen schon glaubte ich mich glüklich, und in
kurzer Zeit in reichlichen Umständen; Allein hier kam ich auf den rechten
Flek!
gazeartiges Gewebe, üblicherweise von Zwirn- oder Leinengarn |
Vor allen Dingen muß ich meinen neuen Arbeits-Herrn in etwas beschreiben: Seinen
nochlebenden Kindern und Verwanten keine Beleidigung zu machen, will ich ihn
bloß mit den unkenntlichen Nahmen Mstr:?
Lebemann, benennen; Wirklich war er
ein rechter Lebemann: Nichts hatte er unversucht gelassen sich guten Verdienst
zu verschaffen, und was er einmal anfing trieb er mit aller Macht, seine gröste
Lust war, wenn er recht viel Leute um sich haben konnte, in seinem Hause hatte
er drey Stübe, in zweyen wurde auf 8. oder 10. Stühlen gearbeitet, in der
dritten wurde der Marly zugerichtet. Religion war bei ihm nicht zu hause, sein
Gewissen war so weit als das Rußische Reich, in seinen Hause war kein Unter-
Meister |
Zeitraum 3.
scheid von Sonntag, Feyertag oder Wochentag, immer wurde die Handirung
bedrieben. Dabey war er ein derber Trinker oder Säufer, er hatte die löbliche
Gewohnheit, sich allemal einen Tag um den andern biß zur Tollheit und Raserey
voll zusaufen. Hier habe ich die traurige bemerkung gemacht, welch ein
gräßliches Laster die Trunkenheit ist: Dieser Mann, der in seinen nüchtern
Stunden so ganz billig in seinen Umgange war, und in seinen Sachen auf Ordnung
hielt, war, wenn er berauscht war mehr einen Teufel als Menschen ähnlich:
Mörderische, und Henker mäßige Prügel waren öfters das bestimmte Tractament
seiner Frau und Kinder, nebst empörenden Mißhandelungen; Schon die schnarrende,
raßelnde Stimme, welche mehr einer Vieh als Menschenstimme glich, brachte einen
ungewohnten zum Entsezen, ich muß selbst gestehen daß mich ein schauderlicher
Abscheu anwandelte als ich das erste Mal ihn in einer von Brandewein
begeisterten Periode diese Stimme reden hörte, wiewohl die andern welche des
Dinges gewohnt waren gleichgüldig darüber spaßten, Er ließ auch öfters ein Paar
Tonnen Bier
Zeitraum 3.
einfahren, da den seine Leute Bier haben konnten wenn sie wollten. Da
Mstr: Lebemann und sein Sohn Musicanten
waren, so ward Sonntags wenn wir nicht Lust zu arbeiten hatten, zu Tanze
gespielt, da dann seine Leute mit seinen zwey erwachsenen Töchtern und andern in
seiner Arbeit stehenden Weibsleuten nach Belieben tanzen konnten. Daß hiebey gut
gedrunken wurde versteht sich; Wenn Geld fehlte gab Meister Lebemann Vorschuß; O
da war ein seidenes Leben!
Da ich aber dabey immer so viel sich thun ließ fleißig arbeitete so glaubte ich
auch etwas verthun zu können. Ich faßte daher so oft ich benöthiget war frisch
Geld. Bey alledem aber schrieb Mstr:
Lebemann alles sorgfältig auf, sowohl
sowohl
verfertigte Arbeit, als empfangenes Geld; Als dieses Leben so eine Zeit gegangen
war und ich für meine Person mich fast darein verliebt hatte, fiehl es Mstr: Lebemann doch einmal ein, mit seinen Leuten
die Rechnungen zu renoviren; Da sahe es nun frey-
gestrichen (Johann Christian Teich) |
Zeitraum 3.
lich bey manchen etwas schief aus
. Ohngeachtet meiner guten Oeconomie, welche ich immer vor
andern zu behaupten suchte, indem ich mich nicht allemal zu denen öfters extra
angestellten Festlichkeiten, welche aus trinken und spielen bestunden, hergab,
wie einige meiner Kollegen, war es doch auch nicht ganz richtig; Bey aller
meiner fleißigen Arbeit, hatte ich doch bey Weiten nicht gleichen Schritt mit
den Verdienen gegen das Verthun gehalten: Denn ich sahe zu meinen Verdruße, und
Verwunderung, daß ich mit leztern eine ziemliche Streke weiter vorwärtz gerükt
war; Ich hierüber aufgebracht, ließ einige Worte fliegen, die Mstr: Lebemann
auffiehlen. Er resolvierte daher die alzuvielen Schwelgereien einzuschränken,
und wirklich geschahe dieß auch, wiewohl es nicht so genau abging, jedoch kam
ich nachgehendes besser zurechte, ich stieß meine Schulden ab, erübrigte auch
noch so viel, daß ich mir etwas Wäsche und Kleidung anschafte, auch noch ein
paar Thaler zu der Frühjahrs-Kàpange?
übrig behielt.
aus ergänzt |
Kampagne: Feldzug |
Zu Anfange des Aprills 1784. wurden die Beurlaubten
wieder einbeordert; Ich muste daher meinen Mstr:
Lebemann verlassen, versprach mir aber bey meiner Zurükkunft wieder in Arbeit zu
nehmen. Ich wan-
Zeitraum 3.
derte also nebst andern Beurlaubten nach
Camenz, dießmal ging es etwas
besser als vorn Jahre, indem ich mich in den Puzen und Atjustiren so ziemlich zu
helfen wuste; Jedoch wurde durch das beleidigende prutale Bedragen, welches ich
von Seiten derer Korporalen und einiger naseweisen Gemeinen zu erdragen hatte
mir eine ziemliche Abneigung gegen den Soldatendienst beygebracht. Nach
vollendeter Exerzierzeit und gehaltener Musterung rükte die Armee bey
Straucha,?
Eine Stunde von Grossenhain in ein Exerzierlager,
Dieß Schauspiel war mir etwas
neues, denn ich hatte in meinen Leben noch nie ein Soldaten Lager gesehen. Zehn
Tage währete diese Comödie, angenehmer würde sie mir gewesen seyn wen mir nicht
Geld gemangelt hätte, den mehrentheils muste ich mich von Dingen wo es Geld
erforderte, endfernt halten, bloß das was ich mit den Augen genüßen konnte war
mir erlaubt.
vermutlich der heutige Ort Strauch nördlich von Großenhain, an der Grenze zwischen Sachsen und Schlesien |
Während dieser Zeit aber habe ich die empörendesten Gräuel Menschlichen Aberwizes
gesehen; Das erste, was sich meinen Augen
darstellete war ein unübersehbartes schönes Fruchtfeld, von welchen dieser
Narrenspoßen wegen das grüne Korn, lang und dike wie ein Wald, so wie es in
diesen Gegenden wächst, und jezo geschoßt hatte
Aus darstllete korrigiert |
Zeitraum 3.
und blüete, hatte abgehauen, und weggeschaft werden müssen, biß auf
einige grosse Fluren, welche denen Eigenthümern vielleicht gedauert haben
mochten; Hier schlugen wir unsere Zelte auf, das noch stehende Korn wurde bein
ersten Ausrüken darnieder gedreten; Ein empörender Anblik war es vor einen
vernünftigen Menschen: Infanderie Linien im langen Korne biß an den Halß hin und
wieder marschiren, und manöveriren zu sehen, vor welchen die Commandeurs zu
Pferde, gleichsam als auf einen Siegeswagen sich brüsteten; Man schien erbittert
wenn das Fußvolk die Verwüstung nicht ganz bewirken konnte, und ließ die
Kavallerie kommen, deren Huffe die stolzen Halme besser zusammen arbeiteten.
Sommersaaten, und Erdbirnen?
leisteten nicht so viel Wiederstandt: In einigen Tagen war der
Sieg wieder die schönen Fluren vollendet, und die ganze Gegend einer
Afrikanischen Sandwüste gleich gemacht; Worauf ein Triumpfzug vor Ihre
Durchlaucht Herrn Friedrich August?
gehalten wurde -
Kartoffeln |
Friedrich August (1750-1827), 1763–1806 Kurfürst von Sachsen als Friedrich August III; 1806-1827 König von Sachsen als Friedrich August I ("der Gerechte") |
Urtheile mein Freund was vor begriffe die Grossen von den Glüke des Landes, und
von den Werth des Nahrungs Standes haben mögen??-
Zeitraum 3.
Nach Beendigung aller dieser wichtigen Dinge ward das Lager abgebrochen, und die
Regimenter marschirten in ihre Guarnisonen zurük, die Beurlaubten wurden
fortgeschikt; Ich lief auch so balt als möglich: Genommener Abrede zufolge
sprach ich wieder bey Mstr: Lebemann ein, ich
ward mit vielen Wohlwollen aufgenommen, befand aber daß in der Zeit meiner
zweymonatlichen Abwesenheit eine grosse Revolution vorgegangen war: Die
Arbeitsstühle stunden mehretheils leer; die vielen Leute waren gröstentheils
ausgewandert; Und was mir am mehresten auffiel, Mstr: Lebemann und seine Frau Meisterin sahen beide sehr elend und
abgemergelt aus: Man berichtete mich: daß sie beide sehr krank gewesen, und sich
diese Krankheit durch die grosse Stubenhize bey Zubereitung des Marlys zugezogen
hätten.: Allein: wie ich den wahren Grund erfuhr war es etwas anders: Mstr: Lebemann, hatte wegen Absezung seiner Waare
öfters Geschäfte in Dresden,
da er sich zuweilen mehrere Tage aufhielt: Hier
hatte er sich an einer Portion lebendigen Fleisches, wo-
Zeitraum 3.
von er ein grosser Liebhaber war, die Zunge verbrannt, und der Frau
davon auch etwas mit nach hause gebracht. Wieder dieses Malheur war in Zeit
meiner Abwesenheit eine Cur vorgenommen worden welche die beste nicht gewest
seyn mochte; So viel ich bemerkte, war er zwar befreyet worden, doch mit der
Frau Meisterin mochte es noch nicht ganz richtig seyn: indem selbige noch viele
Jahre curiret und geflikt hat. Ich erfuhr auch daß die mehresten Leute bloß aus
Ekel vor dieser Seuche das Hauß, und die Arbeit verlassen hatten, ich drug daher
auch bedenken, befragte mich aber bey dem Cirurgo welcher die Cur geführt hatte,
welcher mich aber versicherte daß ich ohne Gefahr in diesen Hause arbeiten
könnte, ich wagte es also hier zu bleiben; Ich erhielt gute Arbeit und befand
mich wohl dabey.
Zu Ende Octobris wurde ich unvermuthet durch einen
Korporal so wie alle Urlauber zur Kompagnie geholt, das Regiment wurde
zusammengezogen, und wurde eine Revü bey Grossenhayn gehalten, der ganze Vorgang
währete etwa fünf Tage worauf ein jeder wieder heim kam.
Zeitraum 3.
Nach diesen Vorgängen trat aber ein schlechter Aspect bey mir ein: Der Marly
Commerz hörte bey Mstr: Lebemann auf; Er fing
zwar an einige Sorten graue Leinwand zu machen, konnte aber nicht recht ins Fach
darmit kommen, und der Verdienst für die Arbeiter war sehr schlecht: acht biß
neun Groschen war der wöchendliche Erwerb für mich; Ich drieb dieß biß
Weinachten, meine Lage war damals äuserst schlecht: Bloß troken Brod war meine
beköstigung, und machte noch obendrein Schulden; Ganz mir selbst überlassen,
wuste ich nicht was ich anfangen sollte. Ich faßte daher den Endschluß zur
Kompagnie in Dienst zu gehen, und dieß sezte ich auch wirklich den Tag vor den
Christage also den heiligen Abend ins Werk; Ein Recrout aus den Dorfe welcher
ohnlängst angenommen und noch nicht exerzirt hatte ging auch mit; So sonderbar
auch dieses Unternehmen war so sahe ich dieß doch damals nicht dafür an, kurz
wir gingen nach Camenz und meldeten uns
bein Feldwebel zum Dienst: Ihr
närrischen Kerl! Sagt mir nur
Zeitraum 3
was ihr wollt? war seine erste Frage. Wiewohl wir ihn die Ursache
sagten schüttelte er doch den Kopf; Er zog sich gleich an dieses Ereigniß zu
melden, und uns schikte er in den Gasthof, in kurzer Zeit kam der Kourir welcher
auch voller Verwunderung war; Erst den folgenden Tag wurden wir einquartirt.
Eine besondere Vermuthung mochte
ein jeder über unsere unvermuthete Ankunft haben, und der Premir Lieutenant
v. Klizinger welcher wegen Abwesenheit des Hauptmanns das Commando hatte hielt
ein ordendliches Verhör mit uns darüber: Da wir aber beide dabey beharrten, daß
bloß Mangel an Arbeit die Ursache war, hatte es weiter nichts zu beteuten.
Aus in korrigiert |
Biß gegen Ende des folgenden Monats Januar 1785. war mein
Zustand erdräglich, alle 3. biß 4. Tage kam ich einmal auf die Wache, zwischen
welchen ich müßige Tage hatte, diese zu benuzen kaufte ich mir Flachs, und spann
Garn daraus, womit ich dann ein Paar Groschen profitirte; Doch den folgenden
Monat Februar hatte mein böser Genius mir etwas anders
zugedacht; worauf ich vorher nicht gerechnet hatte: Das Regiment muste nemlich
einen Monat um den an-
Zeitraum 3
dern ein Commando von 10. Mann nach Torgau, zur Bewachung des dasigen
Zucht und Armenhaußes geben, welche die 2.
Grenadier Kompagnien und das 2te Batallion bedraf; Dieses angenehme Glük hatte
ich den folgenden Monat Februar: Das schlimste war der
Marsch von 12. Meilen sowohl hin als her, 3. Tage waren wir jedes mal
unterwegens, da den
freylich die Löhnung nicht weit langte, weil wir in Gasthöfen für unser Geld
leben musten. Den lezten Januar kamen wir in
Torgau an,
wir musten in den 28. Tagen 14. Wachen thun; Dieses Commando war nicht die beste
Commißion; Einen Tag um den andern auf der Wache, die Lebensmittel theuer, Das
Brod welches wir beim Baker kaufen musten war zwar schön aber klein, und die
Löhnung langte nicht fürs trokne Brod; Von Mangel gedrieben erniedrigten ich und
meine Cammeraden uns so weit, daß wir mit denen Ordensbrüdern der halb blau und
halb grau?
Bekanntschaft machten, welche uns den vor geringe Bezahlung, Brod zustekten,
welches sie ihren Aufwärtern entführten;
So erniedrigend, und ekelhaft, auch gefährlich diese Speculation war, so
Aus Grnadier korrigiert |
Aus feylich korrigiert |
Gemeint sind die Insassen |
Die Zuchthäußler hatten also mehr Brod als die
Soldaten
Rechter Blattrand: Anmerkung mit blauem Farbstift (Heinrich Traugott Teich?) |
So erniedrigend, und ekelhaft, auch gefährlich diese Speculation war, so
Zeitraum 3.
ward hierauf keine Reflection genommen, ich und meine Cammeraden aßen
diese Brodstüken, welche sie in ihren schmuzigen halb grau und blauen Wämsten
verstekt hatten, mit vielen Appetiet.
Dieses Commando war aber eines von den merkwürdigsten Ereignißen meines Lebens.
Hier habe ich die auffallendesten Beyspiele menschlichen Elendes gesehen: Das
Schloß zu Torgau war ehemals die Wohnungen
der Churfürsten zu Sachsen, ist aber
zu unsern Zeiten so weit herabgewürdiget daß es damals zu einen Zucht und
Arbeitshause gebraucht wurde: Mitten in diesen weitläuftigen, mit 4. hohen
Türmen gezierten kostbaren Gebäu, dessen Aeuseres und Inneres mit allen
ersinnlichen Verzierungen ausgeschmükt ist, wohnten jezt eine Menge Unglükliche
von verschiedenen Gattungen: Unglükliche welche durch Gebrechen für die
allgemeine Menschheit unnüz, und unfähig die Freuden des Erdenlebens zu genüßen,
waren; Wahnwizige, Stumme, mit der Epilepsie behaftete und dergleichen, waren
hier in Verpflegung gebracht, deren Loos aber eigendlich nicht schlimm war: sie
wurden ordendlich verpflegt, so daß ihnen Kleydung, Essen und Trinken
gehörigermaßen gereicht wurde; Und mehrere
Zeitraum 3.
wurden durch zwekmäßiges Verhalten, und durch angewante Mittel wieder
zu rechten Gebrauch ihrer Vernuft gebracht. Eine andere Parthie war aber die
welche zur Züchtigung für begangene Verbrechen hirher gebracht wurden; Ich
wünschte mein Freund, dir meine Empfindungen schildern zu können, welche ich
noch jezt beim Andenken an jene Erfahrung habe: Ich sahe hier eine Anzahl
Menschengestaldten deren Unglük mir vollkommen schien: Man qvälte sie auf eine
ganz zweklose Art, bloß um von ihren Arbeiten bey Wasser und Brod, Vortheil zu
ziehen. Ich sahe sie selbige verrichten unter der Aufsicht, mit fürchterlichen
Kandtschuhen?
bewafneter Zuchtmeister, deren Phisignomie mehr Gespensterhaft
als menschlich war; jede kleine Ausschweifung, jede unvollendete Tages Arbeit,
hatte die fürchterlichsten Kandtschuhhiebe zur Folge, wogegen jedoch ihre Rüken abgehärtet
zu seyn schienen. Ich sahe einigemal mehrere Hundert beyderley Geschlechts, und
von jeden Alter, auf den Hofraume, aus ihren verschiedenen Gemächern sich
versammeln, Paar und Paar in Ordnung stellen, um von ihren fürchterlichen
Aufsehern in die Kirche zur - Gottes-Verehrung geführt zu werden; Hier hatte ich
Ge-
Kantschuh: Peitsche |
Zeitraum 3.
legenheit sie recht zu beobachten: Schon die famiöse zweyfarbige
Kleydung ist im Stande einem des Dings ungewohnten einen Abscheu beyzubringen;
Ihre blaßen todtenfarbenen Gesichter, ihr scheuer wilder Blik ließ auf ihren
innern Zustandt schliessen: Sie schienen den Verlust ihrer Freyheit, ihre
Herabwürdigung und Verworfenheit, ihre Ausdilgung aus der Gesellschafft der
Menschheit dief zu fühlen; Diese Menschen führte man in die Gottesverehrung - An
statt dessen, war vielleicht Haß gegen Gott und Menschen, Verfluchung ihres
Schiksaals, das was ihre Seelen erfüllte, jeder Keim von Boßheit muste hier
gereizet werden; Und was würden diese Menschen nicht unternommen haben? wenn
sich eine Möglichkeit gezeigt hätte ihre
Freyheit zu erringen, und das fürchterliche Joch des Zuchthaußes abzuwerfen?
Kein Mord, keine Grausamkeit, keine Verwegenheit würde ihnen zu groß gewesen
sein
Aus Fryheit korrigiert |
Ich billige es ganz, daß man Verbrechen durch Strafe ahntet; es währe aber zu
wünschen daß man es hirbey auf die Verbesserung dieser Menschen mit anlegte,
wenn man sie nicht am Leben strafen will; Ich weiß nicht ob es der Absicht
Gottes gemäß ist, wenn man Verbrecher aufsucht um bloß durch Qaalen,
Zeitraum 3.
sie in ihrer Boßheit zu verhärten, und Vortheil von ihnen zu
erzwingen? Die so ich hier sahe waren nach meinen Begriffen ganz Unglükliche;
vielleicht nicht alle durch eigene Schuld; bey vielen konnte eine üble
Erziehung, wodurch das Gemüth eine falsche Richtung erhielt, zum Grunde liegen:
Bey andern Furcht vor Schande und übler Behandelung, dergleichen bey
Kinder-Mörderinnen mehrentheils der Fall ist. Und gewiß, währen unter den Vielen
welche man hier von der menschlichen Gesellschaft abgesondert qväält, noch
manche, welche zum allgemeinen Wohlstandt der Menschen mitwürken würden, und
alle Kräfte aufbieten sich gut zu bedragen, wenn man sie wieder unter dieselben
aufnähme. Das Resultat von der ganzen Sache zeigt die traurigen Beweiße, wie
weit ein Mensch durch Ausschweifung, und Verirrung der Vernunft von der Tugent
und Sittlichkeit gerathen kann.
Gegen Ende des Monats fiel ein auserordendlicher diefer Schnee, und die Kälte
stieg zu einer in dieser Jahrszeit ungewöhnlicher Höhe. Zu Ende des Monats wurde
unser Commando durch ein ander Regiment abgelößt: Den 1ten
Maerz marschirten wir wieder ab; An diesen Tage war die
Kälte so groß
Zeitraum 3.
daß sich die mehresten Soldaten bey der Wachparade die Gesichter
erfrohren; Dem ohngeachtet machten wir uns auf den Weg, doch verbanden wir uns
die Köpfe mit Tüchern so gut wir konnten, biß auf einen welcher die Kälte trozen
wollte: Sein Vorwiz kostete ihn aber ein Ohr, welches er sich die erste
Virtelstunde erfrohr. Die Witterung war fürchterlich: Dikes Schneegestöber daß
man kaum 100. Schritte weit sehen konnte, und dabey jeden Tritt biß über die
Knie in Schnee waden.
2. Meilen legten wir selbigen Tag zurük, und kamen den 3ten zu finsterer Nacht in Camenz
an. Ich muste nun einige Zeit sehr
genau leben weil ich die 8. Gl Löhnung welche ich den ersten auf 5. Tage
erhielt verzehrt, und noch obendrein bey dem Korporal welcher uns biß
Coßdorf
entgegen kam 4. Gl. borgen muste. Die Kälte und Schnee hielt den ganzen Monat
März an, worauf ein jähling?
Dauwetter die bekannte große Uberschwemmung vom Jahr 1785. verursachte.
Aus ehielt korrigiert |
plötzliches |
Nach vollendeter ExerzierZeit und Musterung gingen wir wieder ins Lager. Dießmal
ward es bey Mühlberg
geschlagen; Da in selbiger Gegend mehrentheils leere
Sandflächen waren, so ward hier nicht
Zeitraum 3.
so viel ruiniret. Nach beendigung desselben ging das Regiment nach
Dresden in Guarnison auf ein Jahr,
welches nach der damaligen Einrichtung
allemal das 6te Jahr traf: Man sagte insgemein:
Die Dresdner Guarnison ist die hohe Schule der Soldaten.
Ich erhielt wieder Urlaub: Dießmal nahm ich meinen Weeg nach
Großröhrsdorf, dort
hatte ich einen Bekannten, mit welchen ich bey Mstr: Lebemann gearbeitet hatte, sich aber nunmehro hier einlogiret
und auf seine Hand vor sich Marly verfertigte; Vielleicht (dachte ich) kann ich
bey ihm in Arbeit kommen, ich suchte ihn auf: Boden, (so hieß er) empfing mich
nebst seiner Frau mit vieler Freundschaft, und da er mich als einen fleißigen
und ordendlichen Menschen kannte, so schafte er sogleich Rath, und erhielt
Arbeit mit vielem Vergnügen sowohl auf seiner als meiner Seite, ich
arbeitete fleißig, bedrug mich gut, und ward sehr wohl gehalten, mir war auch auf
die einige Zeit ausgestandenen Wiederwärtigkeiten recht wohl, und ahntete nicht
das verdrüßliche Malheur welches mir diese Zufriedenheit mit einen Male ganz
wieder zerstörte!
Aus arbeite korrigiert |
2. Monate hatte ich bereits gearbeitet, als ich
Zeitraum 3.
unvermuthet Order erhielt: mich mit Sak und Pak bey der Kompagnie in
Dresden zum Dienst einzustellen -
Denke dir mein Freund, meinen Verdruß und
meine Verlegenheit. Nie ist wohl jemals einen Menschen ein Vorfall ungelegner
und verhaßter gewesen; Doch ich musste gehorchen; Der 10te
August war es, an welchen ich mit meinen Tournister der
Residenz zu marschirte welche ich in meinem Leben das erste Mal sahe; Ich muß
sagen daß die Dinge welche mir hier überal als groß und wichtig in die Augen
fielen meine Aufmerksamkeit reizten, und meinen Kummer eher als ich glaubte,
vergessen machten; Ich muß gestehen, daß ich solange die schöne Jahrszeit
währete, wenn ich dienstfrey war selten Zuhause war: Ueberall strich ich herum,
und durchkroch alle Winkel, wo ich hin konnte und durfte, und überal fand ich
Unterhaltung für meine Wißbegierde.
Ich befand aber auch daß in Dresden
wirklich die hohe Schule für die Soldaten
war; Das heist: Man schor hier 3. Regimenter, ohne die Artilleristen, mit Dingen
welche im Grunde mehrentheils unnüz waren; Das Fataleste war das man hier nicht
einzeln einquartirt wurde, sondern die Herrn Kapitäns nahmen das Qar-
Zeitraum 3.
tiergeld von den Bürgern, und mietheten davor Logiere, da denn nach
Verhältniß 10. 15. biß 20 Mann in eine Stube gesperrt wurden, welche
mehrentheils von sehr schlechter Beschaffenheit waren, weil hierbey mehr auf den
wohlfeilen Zinß, als auf Reinlichkeit und Beqwemlichkeit gesehen wurde: Ich
erinnere mich einige gesehen zu haben, welche zu einen Viehstall noch zu
schlecht waren; indem Winterszeit die Wände voll Wasser und Koth waren das
niemand dieselben berühren durfte, die Bettstellen welche in einer darzu
gehörigen Kammer stunden waren mehrentheils voll Wanzen und Ungeziefer, nun
denke dir mein Freund das Ungemach und die Unbeqwemlichkeit; Demohngeachtet
musten diese Leute alle Wochen 3. Mal auf die Wache ziehen, und dabey Plizblank
gebuzt, und reinlich musterhaft adjustirt erscheinen.
Meinen Begriffen nach war die Wacherey unnöthig, man sahe eine Menge
Schildwachen, von welchen es sich nicht begreifen ließ zu was selbige alle
nüzten, und doch wurde so strenge auf die Atention auf den selben gehalten, als
ob man alle Augeblicke einen feindlichen Ueberfall vermuthete, und nicht selten
wurden einige welche sich einer Nachläßigkeit auf ihren Bosten hatte lassen zu
Zeitraum 3.
Schulden kommen, mit 15. 20. auch noch mehr Stockprügeln im Angesicht
der ganzen Wache bestraft.
Ich erhielt mein Qartier in einer 4. Treppen hohen Dach-Stube worinnen wir unsere
10. Mann waren. 10. Monat so lange biß das Regiment abgelößt ward blieb ich
nunmehro in Diensten, binnen welcher Zeit ich 95. Wachen that. Ich kam so durch
daß ich niemals erdappt wurde, wiewohl ich mich erinnere daß ich vielmals
nachläßig genung auf meinen Bosten war.
Diese 10. Monat waren mir aber sehr schwer, besonders den Winter über, da den
freylich der Soldat allen Ungemach ausgesezt war, ich freuete mich dahero auf
das Ende derselben welches zu Anfange des Monats Junii
1786. geschahe, doch gingen wir von hier wieder in ein Lager bey
Mühlberg. Nach
beendigung dessen nahm ich wieder Urlaub, ich wanderte wieder auf meinen Freund
Boden zu, ich erhielt meine Stelle und meine Arbeit wieder; Da ich jetzt ganz
poper?
war so daß
ich fast kein Hemde mehr hatte, so machte ich einen rechten guten Wirth,
arbeitete fleißig als möglich, das erste war, daß ich mir 4. gute Hemden
anschafte. Dießmal hatte ich Friede biß zur Frühjahrs Kapange?
1787. und befand mich nach den
überstandenen Mühseelichkeiten recht wohl.
pauper: arm, armselig |
Kampagne: Feldzug |
Zeitraum 3.
So gut als ich mit meinen Freund Boden und seiner Frau immer dran gewesen, so
traten doch zu Anfang des Jahres 1787. mißliche Verhältniße ein; Die Ursache
dessen ist nicht werth daß ich sie erst erzehle, meinerseits war es jugendliche
Läpscherey,?
durch welche sich seine Frau beleidiget zu seyn glaubte und ihm
zum Narren machte, er ward so aufgebracht daß er mir die Arbeit aufkündigte, und
da ich keine gute Worte geben wolte wirklich in Verlegenheit gerieth weil just
tiefer Schnee und ein harter Winter war; doch fand ich Arbeit bey einen
Leinweber, bey dem ich sehr wohl gehalten wurde und biß zu Ende des Urlaubs
arbeitete.
zu: läppisch; Lapp: junger Narr |
Nach der Musterung im folgenden Frühling, nahm ich wieder Urlaub; Dießmal ging
ich nach meinen Geburtsort und Heymat; Schon vorher abgeredetermaßen ging ich
bey einen Marly Fabrikanten in Arbeit, aber nicht bey Lebemannen; Ich will ihn
Mstr: Gutmann nennen; Bey nahe 5. Jahr hatte
ich hier meinen Aufenthalt, und Gutmann und seine Frau hielten mich als ihr
Kind. Die 2. Jahre 1787. und 88. waren fast die glüklichsten und angenehmsten in
meinen ganzen ledigen Stande, nur Schade
Zeitr: 3.
daß ich sie nicht besser benuzte, nicht besser genoß; ich verbitterte
mir viele Tage mit unnüzen Ergerniß über das Soldatenleben welches mir hier im
höchsten Grade verhast wurde, denn meine schöne Arbeit, und der gute Verdienst
halfen mir freylich nicht viel, weil damals die Einrichtung war daß im Frühling
Musterung, und dann gegen den Herbst ein Lager wurde, da denn jedes Mal ein
Monat drauf ging, und einige Thaler zugesezt wurden, dabey durfte ich doch nicht
Noth leiden weil ich immer bey Geldte war.
Hier mein Freund, muß ich von den Verfolg meiner Geschichte auf einige Zeit
abbrechen, und eine Erzehlung einschieben welche mir ein verschrompfener
Eygensinn
als Torheiten bedrachten würde; Doch es mag seyn wie es will, es bedrift
eine Neigung welche jeden lebendigen Geschöpf eigen ist, und bey den
vernünftigen Menschen in vieler Hinsicht die gröste Glüksseeligkeit und
Zufriedenheit begründet: Ich meyne die Neigung und den Wunsch nach der
Vereinigung mit einer Person des zweiten Geschlechts. Ich kann nicht läugnen daß
schon in meiner frühern Jugend eine angenehme Vorstellung hiervon und
Aus als als korrigiert |
Zeitr: 3.
ein Wunsch nach Genuß sich mir andrängete: Allein weit endfernt, eine
etwannige Bekanntschaft anzubinden oder in dieser Absicht etwas zu unternehmen,
weil ich hierzu weder Herz noch Geschik hatte; Alles was ich in diesen Punct
damals genüßen konnte war: Daß ich bloß meinen Augen erlaubte die schönen
Geschöpfe des zweyten Geschlechts von ferne zu bedrachten. Weiterhin fanden sich
zwar Gelegenheiten diesen Geschöpfen näher zu kommen, aber die etwannigen
Bekanntschaften waren nicht von Bedeutung und Dauer, denn ich war hierinnen ein
närrischer Kerl: Ob ich gleich zuweilen eine Parthie hätte an mich bringen
können die mir hätte etwas nüzen können, so gefiel mir doch die Person nicht,
dagegen hing ich mich ein andermal an einen schlechten Wisch mit den ich
ausgelacht wurde, und ich muß gestehen daß ich einigemal Torheit auf Torheiten
beging.
Biß in mein 26.tes Jahr hatte ich wegen der
Heyrathung meine Sache auf nichts gestellt: Ich konnte mir nicht vorstellen, wie
ich im Stande seyn könnte mir eine Frau zu nehmen, ich that daher auf diesen
Punct in meinen Gedanken wirklich Verzicht; Ich wünschte weiter nichts
Zeitr: 3.
als meinen Abschied vom Soldaten, dann hofte ich noch geraume Zeit als
freyledig glüklich zu leben.
Doch in meinen 26ten Jahre, als 1788. fügte es
sich, mit der Tochter eines hiesigen Häußlers bekannt zu werden. Sie war die
einzige Tochter und Erbin; Ich fand an ihr ein gutes Gemüth und treues
wohlmeinendes Herz. Jezt kam mir der Gedanke das erstemal in den Kopf: Das währe
wohl eine Sache vor mich, hier könnte ich wohl mein Unterkommen finden? Ich
eröfnete Rosinen meine Gedanken, ich fand sie nicht abgeneigt, kurz der Verdrag
wurde geschlossen, und - Sie ists - welche mir noch diese Stunde auf den rauen
Pfade des Erdenlebens meine Gefärthin ist, und Noth, Kummer und Elend mit mir
theilet.
War mir das Soldatenleben voher verhaßt, so ward es mir nun noch vielmehr, mein
Trost war, daß meine Kapitulation das folgende 1789te Jahr zu Ende ging, hier hofte ich vor gewiß auf meinen Abschied:
Aber leider, hatte ich die Rechnung ohne den Wirth gemacht; Meiner Capitulation
zu folge muste ich einen soliten Nahrungsbewerb durch
ein obrigkeitlich Attestat vorzeigen können wenn ich
Anspruch auf den Abschied machen wollte. Was dieses zu bedeuten habe wuste ich
nicht so genau. Genung ich glaubte wenn ich mich an die Herrschaft und den
Gerichtshalter wendete so konnte ich hier ein solch Attestat bekommen. Ich
machte
Zeitr: 3.
mir gegen den Frühling 2. Gänge nach Dresden, um Ansuchung auf
besagtes Attestat zu thun, allein hier wurde mir erkläret daß eine Ansäßigkeit
dazu erfordert werde, da ich nun dieses nicht konnte muste ich meine ganze
Hofnung vereitelt sehen; Daß mir dieß ein harter Schlag war, läst sich denken.
Ich sann aber auf einen andern Weeg: Meine Rosina war die einzige Tochter ihrer
Aeltern und Erbin des Väterlichen Haußes und darzugehörigen Feldes. Wenn ihr
Vater sich meiner annähme, dacht ich, so könne Wille werden, ich offenbahrte
dieß Rosinen, sie hatte zwar nicht recht Hofnung weil ihr Vater hierzu gewiß
noch nicht gesonnen seyn möchte; Doch es wurde Anstalldt gedroffen, mein Vater
muste die Anfrage thun, aber, er wurde abgewiesen - und meine Rosine hatte einen
derben Verweiß darüber erhalten.
Nun wuste ich mir weiter nicht zu helfen. Doch machte ich noch einen Versuch: Ich
faßte den sonderbaren und verzweifelten Endschluß meinen Bruder, welcher
nunmehro auch zum Soldaten tüchtig, und eben zur Zeit einen etwas schlechten
Streich gespielt hatte an meine
Stelle unter die Soldaten zu bringen, ich fragte meinen Vater darum welcher
den seine Einwilligung darzu gab. So ganz wie in der Bedäubung machte ich mich
Nachts um 12. Uhr auf, lief selbige Nacht nach
Dresden, wiewohl ich wegen
die-
Aus Stlle korrigiert |
Zeitraum 3.
ses Vorhabens mit mir selbst nicht Eins war, ich fühlte in meinen
Innern eine Empörung und Wiederwillen, und mein Gewissen troete mir mit
Vorwürfen, und war auf dieser nächtlichen Reise einigemal im Begrif umzukehren,
doch marschirte ich fort, und war früh 6. Uhr in Dresden, ging zum Herrn und
Gerichtshalter, und gab meine Sache wirklich an, sie wurde zwar angenommen, aber
dieß Unternehmen gereuete mich hernach ganz auserordendlich, weil mir mein
Bruder die bittersten Vorwürfe machte. Mit traurigen schweren Muth ging ich
dießmal nach Camenz als der Urlaub
zu Ende war, der Gerichtshalter hatte meiner
Sache wegen an den Hauptmann geschrieben, welcher mich denn darüber befragte,
ich erklärte mich aber daß ich gesonnen sey lieber selbst auf ein Paar Jahr
wieder zu Capituliren; Weil mir mein Bruder mit Vorwürfen troete und ich mir
mein Gewissen nicht hiermit beschweren wollte. Ich nahm also eine neue
Capitulation auf 3. Jahr jedoch mit der Beschaffenheit daß ich nach Beendigung
derselben den Abschied ohne fernere Umstände erhalten sollte. ich erhielt 2.
Thaler Handgeld, und mein Gram verließ mich nach und nach, so daß ich mich in
mein Schicksaal fügte.
Dieses Ungewitter war nun vorüber, mit etwas frohern Muthe ging ich wieder nach
der Musterung auf Urlaub, zu Mstr: Gutmann; Was
meine erste Angelegenheit war,
Zeitraum 3
ich suchte so balt als möglich meine Rosina zu sprechen. Allein auch
hier war in meiner monatlichen Abwesenheit ein heftig Ungewitter vorgefallen:
Mißgunst und Neid, hatten eine boßhafte Kapale?
gegen mich geschmiedet, und den Vater meiner Rosina
auserordendlich gegen mich aufgebracht: Er hatte Rosinen absolut den ferneren
Umgang mit mir untersagt, und sogar dieser Auflage mit einigen Misshandlungen
Nachdruck gegeben - Wie angenehm mir diese Nachricht war, kanst du mein Freund
denken, ich konnte mir aber nicht geradezu dieses gefallen lassen! Aller Härte
und Strenge womit Rosina belegt war ohngeachtet, fand ich Gelegenheit einen
nächtlichen Besuch bey ihr abzustatten; Daß die Unterhaltung heftig und herzlich
war, läst sich denken: Das Bündniß wurde von neuen geschlossen und zwar fester
als vorher, doch mit dem Beschluß: etwas vorsichtig zu gehen.
Kabale |
Den folgenden Herbst ward wieder ein Lager. Das folgende 1790te Jahr troete uns ein grosses Ungewitter. Es war
im Monat Februar als auf einmal ein Kriegsgeschrey sich
erhub, alle Beurlaubten wurden Knall und Fall eingeholt und jeder erhielt
sogleich 5. Duzend scharfe Patronen, die Regimenter wurden zusammen gezogen und
musten beysammen Cantonieren, ein ganzes halbes Jahr währete dieses
Beysammenliegen. Es war zu der Zeit als
Zeitr: 3.
Keyser Josef der 2te?
starb, was
eigendlich damals im Schwange ging weiß ich diese Stunde noch nicht, aus den
Kriege wurde zwar nichts, doch musten wir die schönste Zeit die Sommer-Monate
hindurch müßig verliegen, in welcher Zeit mich den das Heimwehe außerordendlich
qäälte, doch gegen den Herbst kam die längst gewünschte Nachricht daß die
Regimenter auseinander gehen und die Beurlaubten entlassen werden sollten. Mit
vieler Freude wanderte ich meinen lieben Mstr:
Gutmann zu, wo ich meine Stelle und Arbeit wieder fand; 2. oder 3. Tage mochten
es seyn das ich gearbeitet hatte, als auf einmal wieder Order kam, um so
geschwind als möglich mit Sak u. Pak bey der Kompagnie einzudreffen: Dieß war
wieder ein harter Schlag! Es war zur Zeit als die Bauern in der
meißner Gegend
Revulotion anfingen. Das Regiment Pr: Anton muste in
aller Eyle nach Dresden
rüken um in Nothfall zur Hand zu seyn. Einen Monat
währete diese Kapange in welcher Zeit wir in Friedrichstadt?
Kantonirten; Im October kamen die Beurlaubten wieder fort, und ich trat meine Arbeit
bey meinen Gutmann wieder an.
Joseph II. (1741-1790), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von 1765 bis zu seinem Tode am 20. Februar 1790 |
Dresdner Stadtteil |
Das folgende Jahr 1791. war im Frühling Musterung u. im Herbst ein Lager, nach
welchen ich wieder bey meinen Meister Guttmann einwanderte.
Hier mein Freund! muß ich wieder eine Erzählung
Zeitr: 3.
einrüken welche zwar nicht zu den ernsthaften eines Mannes, sondern zu
den flatterhaften jugendlichen Angelegenheiten gehören, aber doch in die Reihe
meiner Schiksaale mit verwebet ist: Es war in Mstr: Gutmanns Hause eine junge ledige Weibsperson in Arbeit, mit
welcher ich nothwendig sehr bekannt seyn muste; ohngeachtet meines Bündnißes mit
meiner Rosina erlaubte ich mir doch bloß aus Langeweile mit gedachter junger
Person zuweilen eine Schäferstunde; Ob nun dieses gradezu eine grosse Sünde war,
oder ob es nur Neid und Eifersucht zur Sünde machen, weiß ich nicht; die
Endscheidung will ich dir mein Freund überlassen, genung daß ich mir damals kein
Gewißen darüber machte, weil dieß nur vorübergehende Dinge waren welche die
Gelegenheit gab, und Rosina doch dabey ihren Werth in meinen herzen behielt. So
wie aber nichts verborgen bleibt, so wurde auch mein Zeitverdreib mit gedachter
Person beobachet, und so wie Neid und Kapale bey jeder Gelegenheit geschäftig
ist, so war sie es auch hier: In der Zeit meiner lezten monatlichen Abwesenheit
war meine sogenannte begangene Sünde ausgebracht worden, und zwar so grob als
möglich. Ich ahntete nichts davon sagte mir auch niemand nichts, und vorzüglich
war der Bericht von meinen Sündenfall mit aller Sorgfalt, und zwar in einer
abschäulichen Gestaldt an meine Rosine gekommen ganz unbefangen suchte ich
Gelegenheit sie nach meiner
Zeitr 3.
Abwesenheit zu besuchen: Aber O. Himmel was erhielt ich da vor ein
Kompliment! Ich bekam den härtesten Auspuzer, ich machte zwar Versuche zur
Vertheitigung, aber diese waren fruchtloß; Kurz und gut dießmal wanderte ich mit
einem tüchtigen Korbe nach Hauße.
Klug hätte ich nun gethan wenn ich hierzu ganz stille geschwiegen, und mich gegen
jedermann angestellt, als ob ich von der ganzen Sache nichts wüste, aber ich
hierüber viel zu heftig aufgebracht, hatte die erschrekliche Schwachheit, welche
ich mir selbst nie verzeihen werde, daß ich mir in den Kopf sezte mich
öffendlich zu vertheitigen, und sezte deswegen verschiedene Personen zur Rede,
und troete sogar mit verklagen bey der Obrigkeit; Nun entstanden hie und da
Verdrüßlichkeiten, und am Ende stekte sogar die Fr. Gutmann mit darunter -
Natürlich machte ich hierdurch Uebel ärger, und meine Achtung welche ich
zeithero überal und in Gutmanns Hause genoß, wurde sehr herabgesezt - Siehe mein
Freund! so häuft man Torheiten auf Torheiten; Und so weit geht der Mensch wenn
er einmal gestrauchelt?
hat, und stolz genung ist sich zu rechtfertigen.
straucheln: stolpern |
. ergänzt |
Die Folge vom alledem war, daß Mstr: Gutmann vor
gut einsahe, mich in aller Güte auf einige Zeit aus seinem Hauß zu entfernen,
zumal da zur Zeit die Commerzien sehr stokten, er gab mir dahero zu verstehen
daß ich mich einstweilen um eine andere Stelle und Arbeit
Zeitraum 3.
bemühen möchte; indem er mir nicht lange mehr Arbeit versprechen
könnte. Daß mir dieser Vordrag nicht gleichgüldig war, läßt sich denken.
Daß mich die jezt nach der Länge her erzählte Casterophe auserordendlich
chagrinirte,?
brauche ich wohl nicht erst zu erzehlen; Besonders schmerzte mich der Verlust
meiner Rosina; Diese Person, welche mir nun, ohngeachtet aller Verfolgungen
welche sie meinetwegen erlitt 3. Jahre mit einer seltenen Treue ergeben gewesen,
sollte ich nun durch eigene Veranlaßung beleidget, von mir abgewand, mich
verschmähend, vielleicht balt mit einem andern in Verbindung treten sehen:
Dieser Gedanke war mir unerdräglich: Das konnte ich mir nicht sogleich mit
Einemmale gefallen lassen: Ich suchte Gelegenheit mit ihr zu sprechen; Nun both
ich meine ganze Beredsamkeit auf sie zu überführen, daß ich allerdings so
schlimm nicht sey wie man mich ihr abgemahlt hätte. Ich fand zwar wönig Eingang,
und sie bezeigte eine heftige Sprödigkeit, doch bemerkte ich: daß die Neigung zu
mir, noch nicht ganz in ihrer Seele ausgedilget sey; Der Friede wurde zwar
dießmal noch nicht unterzeichnet, doch erhielt ich die Erlaubniß mich
Chagrin (frz.): Kummer, Gram |
Zeitr: 3.
auf einen gewissen Abend zu einen neuen Kongreß einzufinden: Ich
versäumte
ihn nicht, und Rosina - war wieder mein!! wiewohl es mir etwas Mühe
kostete, und meine Ohren noch lange etwas erdragen musten.
Aus in korrigiert |
Mein Freund was sagst du zu dieser Geschichte? Verdiene ich Spott oder Mitleiden?
Du lächelst; Ich muß mirs gefallen lassen. Freylediger Standt ist immer ein
gefährlicher Standt; Ich wünschte es jeden jungen Menschen tief einprächen zu
können wie leicht man in diesen Punct Torheiten auf Torheiten begehen kann; Und
allen Aeltern währe zu rathen, daß sie, so balt ihre Kinder mannbar würden auf
eine schikliche Heyrath mit ihnen dächten: Hier hilft kein Verstandt, der
klügste wird durch diese Leidenschaft berauscht, und bereitet sich eine elende
und traurige Zukunft
Nun muß ich doch sagen was weiter aus mir wurde. Wie schon gesagt Mstr: Gutmann kündigte mir die Arbeit auf; dieß
war mir wieder ein fataler Streich; Doch Mstr:
Zeitraum 3.
Lebemann, welcher immernoch Lebemann war, ließ mir durch seinen Sohn
sagen: Wenn ich lust hätte könne ich wieder bey ihm aufsizen. Was wollte ich
thun? Ich ergrif die Gelegenheit, und verließ Gutmanns Hauß, in welchen ich seit
bey nahe 5. Jahren viel Gutes genoßen, mit vieler Rührung, und wanderte nach
Lebemannen zu, ich wurde mit aller Achtung aufgenommen, erhielt gute Arbeit, so
daß ich hierinnen nichts verlohr, befand mich auch einige Zeit ganz wohl, und
ahntete nichts von den traurigen Zustandte welcher sich mir unvermerkt näherte;
Welcher mir den hellen Mittag meiner Lebens-Jahre in die traurigste Nacht
verkehrte, und ich in ein Lapirint gerieth, woraus ich aller Anstrengung
ohngeachtet keinen Ausweg fand, und verderben zu müssen glaubte: Lebemann war
immernoch Lebemann, doch war der Coommerz nicht mehr so groß bey ihm wie
ehemals. Er war zwar von seiner Maladie?
befreiet, die Frau Lebemannen aber Laporirte?
immer noch daran, da sich jezt das Gift auf die Knochen gelegt hatte, so war sie
sehr Contract; man machte mir zwar weiß daß es die reißende Gicht sey. Es ekelte
mir zwar vor ihr, doch da ich weiter nichts mit ihr zu thun hatte, ließ
Krankheit |
laborieren: kränkeln od. an seinem Leiden doktern |
Zeitr: 3.
ich mirs gefallen. Ohne mein Wissen aber waren 2. Personen im Hause
mit der Kräze behaftet, welches mir aber sorgfäldig verbergt wurde: Ich dieses
nicht vermuthend wurde angestekt; Wieder ein fataler Streich! Ich bemühete mich
aber sobalt als möglich um Gegenmittel, und zwar einer mercurialischen?
Salbe, welche aber da ich
diese zu viel brauchte mich so angrif daß eine Entzündung des Zahnfleisches
entstand, wogegen ich mich ärztlicher Hülfe bedienen muste. Ich wurde zwar
befreyt, aber in einigen Wochen wieder angestekt, und muste die Cur noch einmal
vornehmen.
d.h. aus Quecksilber |
Sey es nun, daß durch diese scharfe Curen mein Geblüt verdorben wurde, oder ob
durch den vielen zeithero gehabten Gram und Ergerniß geschehen, genung es
stellte sich eine mir ganz unbekannte Maladie ein, welches nach meinen jezigen
Begriffen und gemachten Erfahrungen eine Würkung der blinden güldnen Ader?
war,
und darinnen bestand, daß ich um die Gegend der Blaße und Urinröhre ein
immerqväälendes Drüken und Brennen fühlte, und bey lassung des Wassers einen
balt wönigern balt mehrern Schmerz empfand; Ich schlepte mich einige Monate
darmit, war weiter nicht krank dabey, wuste
Hämorrhoiden |
Zeitr 3
aber nicht was ich dabey thun sollte, fragte zwar einige gute Freunde
um Rath konnte mir aber niemand keinen geben. Die Zeit daß ich bey der Kompagnie
zur Musterung in Frühling 1792. erscheinen muste, kam heran, da meine zweite
Kapitulation dieß Jahr zu Ende ging, so meltete ich mich um meinen Abschied,
welchen ich dießmal ohne Umstände zu Ende Octobers erhalten sollte.
Der Gram und Kummer hatten mich so genagt daß ich mir nicht mehr ähnlich sahe;
Einige Cameraden fragten mich: Ob ich krank gewesen? ich entdekte einigen mein
Anliegen, sie hielten es vor einen Tripper?
ich gebrauchte die gewöhnlichen Soldaten Mittel, welche mir
aber nichts halfen. Ich ging nach der Musterung wieder auf Urlaub, brachte aber
mein Malheur wieder mit, und ging wieder zu Lebemannen in Arbeit,
Gonorrhoe |
Nun nahm ich mir doch vor, meine Noth einen Arzte zu entdeken; Ich ging nach
Bischofswerda zu den alten
Naumann: Dieser alte Strohkopf erkannte es vor ein
Defectus venerum,?
und gab mir Winke daß ich fielleicht in
Lebemanns Hause angestekt sein könne; Weil die alte immer noch daran laporirte;
Und gab mir zu ver-
Geschlechtskrankheit |
Zeitr: 3.
stehen daß ich mich lieber an einen andern Medicus wenden möchte: Nun
ward mir Angst und Bange, ich bat Naumanen mit Tränen sich meiner anzunehmen.
Nach langen Zögern resolvirte?
er sich mir einen Trank und Pillen zu verschreiben, welche
ich auf nächst kommenden Sonntag bey ihm abholen sollte. Ich verließ nun
Lebemanns Hauß und Arbeit, hielt mich einige Wochen bey meinem Vater auf, in
welcher Zeit ich mit aller heftigkeit curirte, Aber mein Malheur wollte nicht
ganz weichen; Mein Vater hatte den Einfall: Ob es vielleicht Steinschmerzen seyn
könnten, so wie er und sein Vater auch daran gelitten hatten. Ich stellte die
Cur wieder ein, und ging zu einen Leinweber in der Nachbarschafft in Arbeit,
bedienete mich aber eines Tranks welchen ich mir selbst bereitete, von
ungelöschten Kalk und mehrere Dingen welche ich mir zu Stolpen
in der Apotheke holte, doch dieß war auch vergebens.
entschloss, bequemte |
Nach der Ernde gingen wir wieder in ein Lager bey Mühlberg,
welches mein leztes,
und zwar das 8te war, welches ich mitmachte. Nach
Beendigung dessen ging ich wieder auf Urlaub, zu meinem Leinweber, und mein
Leiden ging immernoch mit mir; Nun ging ich auf Anrathen meines Vaters zu einem
Arzt in Böhmisch Winßdorf?
Vilémov (Tschechien); deutsch: Wölmsdorf, auch Wilsdorf oder Wilmsdorf |
Zeitr: 3.
diesen feine Sache that einige Würkung half aber nicht ganz nun machte
ich mich noch einmal auf nach Winßdorf,
aber dießmal war der Mann verreißt:
Traurig und bestürzt kehrte ich zurük; In einem Wäldgen vor dem Dorfe legte ich
mich auf die Erde nieder, und weinte die bittersten Tränen über mein
unglückliches Schiksaal. Ich rafte mich aber wieder auf und ging fort: Indem
begegnete mir ein Mann aus Schmiedefeld,
welcher auch zu diesen Arzte gehen
wollte; Auf meine Nachricht das er nicht da sey kehrte er mit mir um: Er sagte
mir daß in Margretha?
,
einen ebenfals Böhmischen Dorfe auf welches wir jezt
zugingen ein alter Feldscher sey, der auch nicht ungeschikt sey; ich suchte ihn
auf: Er war ausgegangen und kam erst gegen Abend wieder, ich war genöthiget hier
zu übernachten; Dieser Mann gab mir selbst keine Mittel, sagte mir aber welche,
die ich mir selbst in der Apotheke kaufen muste, es war eine Trippercur, und
wirklich fühlte ich eine kurze Zeit erleichterung, ich wiederholte es ward aber
nichts mehr daraus. Ich ging noch einmal nach Margretha,
ehe ich aber dahin kam
begegnete mir besagter Feldscher auf der Strasse zu Pferde; er kannte mich
sogleich und erkuntigte sich nach mein Befinden, auf meinen Bericht sagte er mir
eine Salbe
Marketa (Tschechien); deutsch: Margarethendorf |
Zeitraum 3.
1792-93
oberer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Heinrich
[...]
1846-51
[...]
erfreute sich dort sehr
menschlicher Behandlung und erwarb dabei die Schulkenntnisse zum Statsdienst
[...] Straßenmeister
welche ich äuserlich brauchen
sollte. Ich kaufte sie mir in der Neustädter Apotheke, brauchte sie etliche
Wochen, es blieb aber bein alten. unentziffert |
unentziffert |
mit Bleistift gestrichen (Heinrich Traugott Teich) |
linker Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Febr. 83–October 92
Grenadier, sein j. Enkel
Rechts: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Gegen Ende Octobris erhielt ich meinen Abschied vom
Soldaten; viele Jahre hatte ich mich auf diesen Zeitpunct gefreuet, und nun
wurde mir diese Freude so verdorben, meine Umstände waren durch dieses Schiksaal
so armselig daß ich noch keinen Sonntags Rok hatte als ich die Montur abgeben
muste: Mein Glük war es daß ich über 7. Thaler auf mein Commisbuch bey meinen
Abschiede ausgezahlt erhielt, wofür ich mir einen neuen Tuchrok anschafte.
Den folgenden Winter schlepte ich mich mit meinen Leide fort, welches mich fast
unausgesezt durch seine Schmerzen daran erinnerte, ich bereitete mir auch einen
gewissen Habertrunk welcher mir zwar dienlich, aber
nicht genung half.
Aus nich korrigiert |
Den folgenden Frühling 1793. machte ich wieder einen Versuch mich davon zu
befreyen: In Rammenau auf den Herrnhofe war ein Feldscheer, welcher mir
recommantirt wurde. Diesen habe ich über ein Virteljahr, von Pfingsten biß
Michael?
gebraucht; diese Zeit über habe ich beständich mediziniret, dieser Mann gab sich
auch alle Mühe mit mir, wiewohl ich nun Erleichterung fühlte, so kam es doch nie
zur gänzlichen Ausdilgung. 16. Mal bin ich deßwegen in Rammenau gewesen; Und da
ich diese Gänge gerne verborgen haben wollte, so nahm ich wenn ich bey Tage
ging, meinen Weeg durchs Gebüsche, da ich dann einen
Michaelistag (29. September) |
Zeitraum 3.
grossen Umweg jedesmal machen muste, nur um nicht
gesehen zu werden. Diesen Sommer war mein Zustandt erschreklich: Fast wie in
einer Bedäubung bin ich manchen Tag und Nacht herum gelaufen das niemand wuste
wo ich war, und Hülfe gesucht. Da sich zu diesen Malum?
noch ein zweytes gesellte, nemlich die
Hypochondrie oder Schwehrmuth, so ward mein Elend vollkommen: Oefters habe ich
meine Arbeit verlassen, bin an einen einsamen Ort gegangen, oder in den nahen
Busch, mich auf die Erde gestürzt, oder an einen Baum gelehnt, und aus allen
Kräften geweinet, wodurch ich den Drange des Herzens zuweilen einige
erleichterung schafte. Ich versuchte den Himmel mit Beten zu bestürmen, auch
dieses war vergebens.
Aus ge-[Zeilenwechsel] gesehen korrigiert |
Übel |
Mein Zustandt war freylich allerdings traurig: ganz mir selbst überlassen, wagte
ich es niemanden recht zu entdeken; Bey fremden Leuten muste ich mich aufhalten,
Alle mein Verdienst ging vor Arzeneyen fort. Was das gröste war hatte ich jezt
Anstaldt zu heyrathen, worzu ich mir den vieles anzuschaffen genöthiget war:
Wünschte aber doch vorher gesund zu werden, doch diese Hofnung muste ich
aufgeben: Zu Michael hörte ich auf zu curiren.
Meine Heyrath ging diesen Winter 1794. vor sich. ich bezog meine neue Wohnung bey
meiner Rosina, wovon ich aber nacher ausführlich reden werde. Schon lebte ich
ein Paar Monate in der Ehe, und mein Leiden hatte mich noch nicht verlassen; Nun
machte ich noch einen
Zeitraum 4.
Versuch: In Frankenthal
war ein Wundarzt welchen ich mich vertrauete,
er versprach mir Hülfe, ich brauchte ihn über 2. Monate, er machte verschiedene
Versuche erreichte aber seinen Zwek nicht, ließ mir aber unter andern 2. Mal
stark zur Ader worauf ich einige Erleichterung fühlte.
Ich ging von diesen wieder ab, befragte mich aber in
Bischofswerda bey einem
alten Cirurgum Nahmens Rudolf: Dieser rieth mir, meiner Natur nicht weiter mit
Arzeneien zuzusezen; Sollte mich aber ruhig halten, einen frohen Muth fassen,
mäßig arbeiten, und mäßig leben: Nach und nach würde dieß Malheur von selbst
weichen; Gab mir aber hierbey eine stärkende Mixtur welche ich brauchte; Und
siehe da: In einiger Zeit fing mein Leiden an mich zu verlassen, und noch vor
Winters war es völlig verschwunden. -
Siehe mein Freund! So besiegte Zeit und Geschik ein Uebel, wieder welches ich
Jahrelang mit Aufopferung und Anstrengung gekämpft hatte, aber vergebens; So
geht es wenn man sein Schiksaal zwingen will: Meine Krankheit war allerdings so
fürchterlich und schlimm nicht: Ich aß und trank, ich schlief und arbeitete, ich
ging zur Gesellschaft, zu Bier und zu Tanze, hatte auch meine natürlichen
Kräfte; Bloß durch die fürchterlichen Vorspiegelungen, schlechter unerfahrener
Aerzte, wurden mir die fürchterlichsten Begriffe von meiner Maladie beygebracht:
Zeit meines Lebens werde ich mit Wehmuth auf jene Zeiten
Zeitraum 4.
zurüksehen: Wo ich alle alte Medizin Bücher durchsuchte, die darinnen
enthalten furchtbaren Erklärungen in Puncto veneris auf
mich aplicirte, und mich der Schwehrmuth ganz überließ; Wo ich gleichsam in
einer Bedäubung bey Tag und Nacht, Städte und Länder durchirrete, um Hülfe zu
finden; Gram und Kummer hatten es erzeugt durch eben dasselbe wurde es
unterhalten und immerzu
gestärkt: Und wenn ich in diesen Zustandte alle Apotheken ausgezehrt hätte würde
es mir nichts geholfen haben so lange ich der Schwehrmuth nachhing, und mich als
den unglüklichsten der Erde bedrachtete
Aus ge-[Zeilenwechsel] gestärkt korrigiert |
Das beste verwahrungs Mittel gegen diese Krankheit würde gewesen seyn: Wenn ich
mich zu rechter Zeit zu verehlichen im Stande gewesen währe, so würde mir dieß
alles unbekannt geblieben seyn; Eine Vollblüdtigkeit, und Ueberfluß an Kräften
war der Grundstof darzu, zwekmäßige Aderläße und Blutverbessernde Mittel wären
das beste gewesen.
Solche Schiksale hat die Unwissenheit! Hätte man mich in meiner Jugend, anstatt
mit den fatalen Catechismus Flausen und Spizfindigkeiten, und auswendig lernen
des Himmelswegs, Psalmen und Lieder, gedrukter und geschriebener Fragstüke, und
mit denen alten Erzehlungen aus Jerusalem, und den
Jüdischen Lande, ich sage:
Hätte man an Statt mich mit diesen Dingen zu schurigeln,?
mir nüzliche Wissenschaften von der
Beschaf-
quälen |
Zeitraum 4.
fenheit des menschlichen Leibes, und von den vielerley Zufällen und
Gebrechen derselben, und von den Folgen überdriebener unnüzer Leidenschaften
beygebracht: wie nüzlich würde mir dieß gewesen seyn; so währe ich vielleicht im
stande gewesen meinen Zufall selbst zu beurtheilen, so aber muste ich mich den
Gängelbande anderer schwachköpfe anverdrauen, welche mich aus dem Regen unter
die Traufe brachten. - - Doch ich breche ab - -
Nun teucht mich aber mein Freund, als wenn sich folgendes Gespräch zwischen uns
anhübe: Gewiß fragst du:
Nu ist den des Weklagens kein Ende?
Ich antworte: O ja, ich glaubs daß Du dessen einmal überdrüßig bist.
Du.) Ich wünschte dich doch einmal aus einem frohern Tone sprechen zu hören.
Ich.) Nur Geduld, jezt will ich ein andere Maderie vornehmen.
Du.) Ich wünsche und erwarte, aber etwas angenehmes.
Ich.) Im Jahre 1793. ging meine 3te Lebens-Periode
zu Ende, und mit derselben geschahe eine gänzliche Umschaffung meines Zustandes,
so wie bey der 1ten und 2.ten geschehen war.
Du.) Immer sonderbar genung; und wie?
Ich.) Drey Wünsche waren, welche ich
zeithero gehegt hatte, auf deren Erfüllung ich mein ganzes Glük und
Zufriedenheit sezte.
Aus zeihero korrigiert |
Du.) Und welche waren diese?
Zeitr: 4.
Ich.) Der 1te war: Befreyung von meiner
Krankheit.
- 2te - Der Abschied von der Militär, und
- 3te - Die eheliche Verbindung mit meiner
Rosine.
Du.) Und diese gingen doch alle dreye wirklich in Erfüllung wie du gesagt hast;
Nun wird doch alles recht seyn?
Ich.) Janu, Klagen werden immer wieder vorfallen.
Du.) Worinnen werden diese bestehen? Fehlt etwann der liebe Eheseegen?
Ich.) Ach nein, dieser stellte sich zu ordendlicher Zeit ein.
Du.) Nun so halte das Maul.
Ich.) Aber im Ehestande giebt es doch auch so mancherley Wiederwärdigkeiten und
Verdrüßlichkeiten:
Du.) Janu ja, Wiederwärdigkeiten und Verdrüßlichkeiten, diese währen aber
gemeiniglich nicht länger, als biß zum ersten Bettengange;
Ich.) Nu warte nur. Jezt Ein Jahr zurük, ich muß dir doch erzehlen
wie meine Heyrath zuging; vors erste muß ich dir sagen daß ich ein öffendlich
Verlöbniß hatte, und Bräutgam gewesen bin; Denn den weiten Sprung vom
Junggesellen biß zum Ehemann habe ich nicht so gleich mit einem Male gethan, ich
bin auch einige Zeit Bräutgam gewesen.
Du.) Nu mache nur nicht so wie Pralens.
Ich.) Nur stille.
Als ich meinen Abschied hatte, so traurig als meine Umstände immer waren, so
hielt doch meine Rosina
Zeitraum 4.
immernoch mit einer unerschütterlichen Treue und Beharrlichkeit an
mir; immernoch war der Verein zur endlichen Ehe. Noch wuste ich aber nicht wie,
und durch welchen Weeg ich mich ihrem Vater nähern, und ihn für mich gewinnen,
und mit ihm unterhandeln könne. Doch es fügte sich daß er mir selbst entgegen
kam: Er war von den festen Vertrauen seiner Tochter gegen mich, durch einen
guten Freund unterrichtet worden; Da er nun in diesen Punct ganz billig dachte,
und mehrere Male gesagt: Daß er seiner Tochter keinen andern Mann aufdringen
wolle, als den sie sich selbst wählen würde. Und da er sie sehr liebte, und so
ganz nach seinem Sinne erzogen hatte, so hatte er einsmahls bey Gelegenheit sich
gegen sie vernehmen lassen: Wie er an mir nichts auszusezen habe; Und den Wunsch
geäußert, wenn ich ihn einmal besuchte, um zu erfahren was doch eigendlich an
mir sey? Rosina, durch diese Aeuserungen ihres Vaters überrascht, hinterbrachte
mir diese wichtigkeit so balt als möglich: Gut! Auf den nächsten Sonntag
nachmittag ging ich spaziren, rathe einmal wohin? Janu, zu Rosinens Vater wirst
du denken, hasts wirklich errathen; Nu wie that den der Alte? fragst du: Recht
gut war er. Doch halt, eine kleine Schilderung von diesen Manne muß ich dir
machen, damit du schließen kanst mit wen ichs künftig zu thun habe.
Zeitraum 4.
Er war ein Mann vom seltsamsten Caracter, so daß ich nicht weiß wie ich ihn recht
schildern soll; Verachten möchte ich ihn nicht gern, weil ich ihm viel zu
verdanken habe: So, lange man ihn auf guter Laune erhielt war er wirklich gut,
und ich möchte fast sagen: Zu gut; Indem er öfters seinen eigenen Nuzen
Aufopferte um jemanden zu dienen und gefällig zu sein. Ueber Recht und
Gerechtigkeit, und gute Ordnung hielt er fest, und verfocht es mit aller
Heftigkeit, so weit seine Kentniße reichten, und sein Wirkungskreis sich
erstrekte. Sein gröstes Vergnügen war, wenn er wohlthun konnte, zumal wenn er
drum angesprochen ward; In seiner Profeßion arbeitete er mehrentheils ums halbe
Lohn, und wenn ers mit armen Leuten zu thun hatte, auch gar umsonst. Ohngeachtet
seines mit vielen Leiden beschwehrten Körpers arbeitete er doch immer fleißig um
nicht jemanden wegen Zuschuß beschwehrlich zu seyn. Während seiner Haußhaltung
war er ein guter Wirth und sezte seine sehr baufällige Wohnung in guten
Stand.
Er war aber auch der Mann, der mit den wirklich guten Eygenschaften auch eben so
schlechte verband, welche denn jene sehr verdunkelten: Grobheit und Schmähsucht
war sein ganzes Naturell. Ohngeachtet seiner geringen
Zeitr: 4.
Kentnisse wollte er doch alles tadeln und beräisoniren; Alles was
nicht aus den Alterthum abstammte, verwarf er, gegen alles Neue hatte er einen
tödlichen Haß, und so fand seine Tadelsucht und Schmähsucht immer Nahrung.
Seine Religion war ein Zusammenfluß von alten Vorurtheilen; Er ging soweit, daß
er es vor Sünde sprach, wenn jemand Verwahrungs Mittel gegen Krankheiten
brauchte oder sich von andern Zufällen schüzen wollte. Sein Gott war ein Tirann,
der nur mit schreklichen Straffen umging, welchen er aber durch eine Menge alter
Gebethsformuln welche er alle Tage durchtrosch zu beschmeicheln glaubte.
Wer sein Freund bleiben wollte muste ihn in jedem Falle schmeicheln, muste ihn
bey jeder Sache, und wenns Kleinigkeiten bedraf um Rath fragen, und so ganz nach
seinem Sinne handeln und leben, viel mit ihm discuriren, und überal recht
lassen. In allen seinen Thun und Würkungen kannte er keine Gränzen, überal
überschritt er die Schranken der Billigkeit: Mit einem fürchterlichen Ungestüm
über schüttete er dem, welcher seine Unleidigkeit nur im geringsten reizte:
Keine Schmähung, keine Grobheit war nicht zu finden, welche er nicht auswarf,
und doch verlangte er daß man nach Beendigung dessen sogleich wieder gut
Zeitr: 4.
und freundlich gegen ihm seyn sollte. Auf seine Grundsätze war er sehr
stolz, und wollte sie schlechterdings von jedem vor richtig und recht gesprochen
haben, wiewohl selbige sehr pöbelhaft und abergläubisch waren; Er lebte
beständig in einer überdriebenen Furcht vor Gottes Zorn und der Hölle, und so
verdammte er alle menschliche Lebensfreuden, und versagte sich selbst alle
Gemächlichkeit, um: Sich nicht etwann zu versündigen.
Siehe mein Freund! Dieß war der Mann, welchen ich mich zu nähern, und für mich zu
gewinnen suchte, wirklich ward er der welchen ich meinen folgenden Wohlstandt zu
verdanken hatte: Durch seine Hülfe ward ich auf eine leichte Art,
Eigenthümer
eines Haußes, und einigen Feldbaues, auch guteingerichteten häußlichen
Wirthschafft, und mir bey meiner Heyrath alle mögliche Unterstüzung that, und
den Aufwand dabey erleichterte.
Aus Eigen [Zeilenwechsel] thümer korrigiert |
Er war es aber auch welcher mich in der Folge, so sehr verkannte, und die grösten
Kränkungen zufügte, von dem ich die bittersten und beißensten Schmähungen und
Grobheiten zu erdragen hatte - doch genung vorjezt.
Nun wollen wir den angefangenen ersten Spazirgang bey meinen Schwiegervater
vollens ausführen: Es war
Zeitr: 4.
im Frühjahr 1793. Ich draf ihn bey guter Laune, mit seiner ihm
altteutschen Höflichkeit empfing er mich, muste auch sogleich nahe bey ihm Plaz
nehmen worauf er mir seinen Leib Dobaks Beutel vorlegte mit dem befragen ob ich
auch Dabak rauchte? Da ich dieß bejaete sogleich die Pfeife stopfen und mit ihn
rauchen muste, daß ich dieß ohne Weigern that war der erste Schritt zu seiner
Gunst. Er fing hernach an verschiedenes mit mir zu discuriren, und da ich mich
beredsam gegen ihn bezeigte, so bezeigte er eine sichtbare Zufriedenheit; ich
muste zu Abend mit essen, dann noch eine Pfeife Dobak rauchen, worauf ich mich
dann in einiger Zeit wieder absentirte. Folgenden Sonntag, als ich eben
communirirt?
hatte und aus der Kirche gingen, gab er mir durch einen
Klopf auf die Achsel einen Wink daß ich ihm folgen sollte, ohne weiteres
Besinnen ging ich ihm nach; Seine Absicht war, daß ich zu Mittag mit essen
sollte, um recht bekannt zu werden; So weit war ich in seiner Gunst vorgerükt.
Da ich so gut aufgenommen wurde, so wiederholte ich meine Besuche und wurde am
Ende ganz bekannt mit den alten Leuten. Und da er sich diesen Sommer ein Auszugs
Häußgen baute, so muste ich ihn verschiedene Arbeiten helfen machen, wo ich
jedesmal seinen Beyfall erhielt.
Kommunion (das hl. Abendmahl) empfangen |
Im Monat August war die große Feuersbrunst durch
Zeitr: 4.
Blitzentzündung; Der Abend vom 15ten zum
16ten war es: Diese Nacht war eine der
schreklichsten als je ein Mensch erlebt hat; Die ganzen Herrschafftlichen
Wirthschafftsgebäude, der Schaafstall, die Kirche, der Gasthof mit seinen
damaligen grossen und vielen Nebengebäuden, 5. Häuser, 2. Scheunen, stunden auf
einmal in Feuer; Der Regen fiel in Strömen; Das Prasseln und Krachen der
Blizschläge, währete Stundenlang ununterbrochen fort, und da der Wind lange aufs
Dorf ging, so warf er das Feuer wie ein dikes Schneegestober auf dasselbe.
Meine Besuche bey dem Schwiegervater wurden öfters wiederholt, so daß ich balt
wie zu hause da wurde, ich wurde zu verschiedenen Arbeiten gezogen, und da ich
mich in alles gut zu schiken wuste, und in allen Stüken ganz nach seinem Sinne
handelte, das heißt: Grade so tanzte wie er pfif, so erhielt ich sein Vertrauen
ganz, und war in allen sein Mann; Wiewohl ich auch teutlich bemerkte, daß ein
gefährlicher Umgang mit ihm war: weil man sehr leicht einige Grobheiten
erwischen konnte, doch wenn man selbige nur nicht achtete, hatte es weiter auch
nichts zu beteuten. Da ich hierdurch einige Zerstreuung hatte, so hatte ich den
Nuzen daß ich meine Schwehrmuth, und den Kummer wegen meiner Krankheit, zuweilen
auf einige Zeit vergaß.
Zeitr: 4.
Endlich wagte ichs einmal bey einer Pfeife Dobak, einen Andrag wegen seiner
Tochter zu thun. Ich erhielt keine abschlägige Antwort: Mein Anverlangen sollte
mir gewähret seyn doch mit der Bedingung: Kein Kartenspiel mehr zu spielen, weil
er selbigen besonders feind sey; Da ich dieses versprach so erhielt ich die
Erlaubniß: Meinen Vater einmal mitzubringen, welches ich in Kurzen
veranstaltete; Wir erhielten Jawort, und Resolution wegen des Haußkaufs.
Da er nun in allen Dingen soweit sein Wirkungskreis langete, Herr und Regent seyn
muste, wenn man anders mit ihm auskommen wollte, so übernahm er von nun an die
Leitung der ganzen Sache; Er ließ mir weiter nichts übrig als zu allem Ja sagen: Die geringste Kleinigkeit, selbst in meinen
eigenen Anzüge, (Welches mir freylich manchmal nicht recht war) muste nach
seinem Sistem seyn, ich unterfing mich auch nicht in einem Puncte zu
wiedersprechen, worinnen mich den Rosina, welche seine Eigenschaften kannte
schon unterrichtet hatte, ich glaube wenn ich ihn mit einem Worte
wiedersprochen, hätte ich alles verdorben.
Es war auch wirklich mein Schade nicht, er opferte alles auf um mir den Aufwand
zu erleichtern, welchen ich hiebey zu bestreiten hatte, und kam mir auch recht
zu Statten da durch die wiedrigen Schiksaale ich ganz niedergedrükt war.
Zeitraum 4.
Mir selbst ganz überlassen, hatte ich von meinen Vater der jederzeit sehr
unbesorgt war nicht den geringsten Vorschub zu gewarten, hatte auch selbst keine
Hülfsmittel in Händen, 50. rtl:?
Väterliche Mithülfe, und 6. rtl: Ausstattung waren mir in meines Bruders Kaufe
der Väterlichen Nahrung ausgesezt, zu welchen mein Vater Rath schaffen muste
wovon ich den meinen Kauf und Angeld, nebst Heyrathkosten bestritt, aber nicht
gut zulangen wolte.
Reichstaler |
So ging denn alles gut; Auf den Kirmsttag machte mein Schwiegervater ein
öffendlich Verlöbniß, und kurz darauf wurde mir das Hauß zugeschrieben, und den
ersten Gerichtstag erhielt ich Lehn und Unterthans Pflicht.
Zu Anfang des Monats Februar,
1794. war Hochzeit, die Trauung war in der Schule, weil die Kirche
abgebrannt war. Den Sonntag vorher hielt ich meinen Einzug in meine neue
eigenthümliche Wohnung: Eine alte Lade,?
welche ich von meiner Mutter ererbet, worinnen ich meine
wönigen Meublen hatte, machten meinen ganzen Reichthum aus, welche ich ganz
allein in eigener Person, auf einen erborgten Schiebeboke an jenen Sonntage
hinfuhr; Also höchst armseelig, ohne Gereusch war mein Einzug zu meiner Rosina;
Den einzigen Nuzen welchen ich dabey hatte war: Daß ich ohne gehemmt zuwerden
weg kam.
Aus 1784 korrigiert |
Truhe, Kiste |
Zeitr: 4.
Meiner Armseeligkeit ohngeachtet bezeigten doch meine Schwiegerältern alle
Zufriedenheit gegen mich, und der Vater erinnerte daß er selbst auch so
eingezogen sey, und ich genoß dem Anschein nach alle Achtung. Nach der Hochzeit
erhielt ich von meinen Vater einen alten Leinweberstuhl, dieß war mein ganzes;
Auf diesen arbeitete ich hernach, uns Lohn; Mein Zustand war nun ganz angenehm,
und auf der Welt hätte ich mirs nicht besser gewünscht: Ich hatte eine
Wirthschaft in guten Stande, eine Kuh im Stalle, Futter vor selbige, das Brod
war sehr
wohlfeil, meine Rosina hatte auch ein Stämmgen Geld von 20 rtl: welches auch zu
meine Disposition stand. Meine alten Schwiegerältern schmeichelten mir bey jeder
Gelegenheit und meine Rosina war einige Zeit höchst zufrieden mit mir. Durch
alle nur mögliche Freundschafts Bezeigungen erwiederte ich meinerseits die
ihrigen, und wen sie von mir verlangt hätten durch ein Feuer zu lauffen, ich
hätte es gethan. Wiewohl mich meine Krankheit erst gegen den Herbst verließ, wie
schon gesagt, so qväälte mich doch Schwehrmuth und Drübsinn nicht mehr so sehr,
weil ich mehr Zerstreuung hatte.
Aus ehielt korrigiert |
Aus wohfeil korrigiert |
Den 19ten
Februar 1795. bespendirte mich meine Rosina mit einen
kleinen Jungen; Wieder ein Auftritt welcher mir in meinen Leben noch nie
begegnet war. Nun
den 15. Juli 1795
die Mutter geboren
unterer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Zeitr: 4
fühlte ich auch die ersten Empfindungen Väterlicher Liebe, eine Regung
welche mir bißher noch unbekannt gewesen, und ich war niemals ein Kinderfreund
gewesen, durch diese begebenheit aber ward mein Gemüth ganz umgeschaffen.
Mein Zustand wäre ganz vollkommen glüklich gewesen und wirklich lächelte mir in
den ersten Wochen meines Ehestandes die angenehmste und froheste Zukunft
entgegen, allein ein böser Genius, oder vielleicht ein Eheteufel Asmodi?
seete sehr balt Unkraut in
den Weizen.
Bibl.: böser Geist |
Ohngeachtet aller meiner kriechenden Unterthänigkeit, welche ich gegen meinen
Patron Schwiegervater verschwendete, und wodurch ich meine Achtung als Herr und
Mann im Hause ganz aufgab, und in der Folgezeit nie erlangt habe, geschahe es
doch daß ich zuweilen in aller Unschuld einen falschen Tritt oder Miene machte,
welches denn sogleich einen Erguß von Schmähungen und grobheiten zur Folge
hatte: Wiewohl ich dieses verschmerzte, so war doch noch etwas das mich auf
jeden Fall dief kränkte: Man suchte mich fühlen zu lassen, daß man sehr vielmehr
an mir gethan als man schuldig gewesen, und alle verschwendete Wohlthaten,
worunter freylich viele aufgedrungen waren, in Rechnung zu bringen, und mir
Armuth vorzuwerfen, und dadurch mich recht zu demüthigen.
Zeitr: 4.
Und was noch mehr: Meine zweyte Ehehelfte wurde wieder mich eingenommen; Diese
Person welche mehrere Jahre vorher meine Parthe aufs äuserste getragen, fing an
Parthie wieder mich zu nehmen: Sie war nicht mehr das gute, wohlmeinende Herz
wie ehemals, und zeigte in jeden Fall eine heftige Zanksucht, bloß daß sie
täglich Beschwerden von ihren Eltern welchen sie sehr ergeben, zu erdragen
hatte, und ich ihr von einer schlechten Seite vorgestellt wurde, und ihre Eltern
nicht mehr achtete sondern sie gerne loß währe; Nichts konnte ich mehr recht
machen,
überal wurde ich gedatelt. Und da
sie von den ungestümen Caracter ihres Vaters viel ererbet, so hatte ich öfters
die unbilligste Reden zu erdragen, oder erhielt Wochen lang weder Rede, noch
freundlich Gesicht.
, ergänzt |
Siehe mein Freund so wird man gedäuscht, und so wird man bey der besten
Herzensgüte verdächtig gemacht, und verkannt; So müssen auch an den schönsten
Rosenstok die schärfsten und schmerzhaftesten Dornen wachsen; Wie herzlich und
fest war mein Vorsatz und mein Entschluß, Mich nie mit dieser Familie zu
entzweyen, als ich voller Hofnung und Vertrauen in ihre Mitte trat, und Wohnung
bey ihnen nahm: Wirklich opferte ich auch alles auf um gefällig zu seyn, kein
Anverlangen war mir zu groß, ich er-
Zeitr: 4
füllte es auf der Stelle, und mit jeden würde ichs auf äuserst
aufgenommen haben, der mir etwas auf sie habe bringen wollen; Allein ich
bemerkte leider gar balt daß meine Haußgenoßen, von Stolz, Argwohn, und falschen
Grundsäzen eingenommen, mich bey jeder Gelegenheit beobachteten, und vieles an
mir tadelten, welches nach ihrem System verwerflich war. Mein Patron
Schwiegervater, welcher hierinnen obenan saß, und die Leitung des Kopfs meiner
zweyten Ehehelfte unumschränkt besaß, verfügte mit Zuziehung dieser, eine
Reformation mit meiner Person vorzunehmen.
Ohngeachtet der schlechten Kenntniße, und Mangel an Wissenschaften, und höchst
verdorbenen, und verwirreten Vernunft meines Patron Schwiegervaters, verlangte
er doch von jeden, welchen er nur einigermaßen in seinen Wirkungskreis erlangen
konnte, daß er absolut seine Denkungs-Art, seine Handlungsweise, kurz alles
Benehmen, nach dem seinigen zu modeln, welches er denn jeden als allein vor
recht und wahr aufdrang. Dem zu folge ließ man mich auf verschiedene Art fühlen
daß man hie und da unzufrieden mit mir sey: Man tadelte meine Neigungen, mein zu
stillen Beobachtungen gewöhntes Gemüth sahe man vor tükisch an, beschuldigte
mich eines Mangels an schuldigen Höf-
Zeitr: 4.
lichkeitsbezeigungen, und einer Undankbarkeit gegen, erhalten
Wohlthaten, und prophezeiete mir wegen dieser grossen Sünden Gottes Strafen - -
.
Der erste Krieg welchen ich veranlaste, entstand daher: Daß ich einige junge
Obstbäume ansezte und ein Gärtgen anlegte, welches denn vor unnüze
Dändeleyen,?
und eigenmächtigen
Eingrif erkannt wurde: Mir wurde von meiner Gattin alle Freundschafft aufgesagt;
Diese unerwartet schnöde Behandlung schmerzte mich so sehr daß ich darüber
weinte. (Diesen Punct erzehle ich bloß darum um verhältnißmäßig über meinen
ganzen Zustand schliessen zu können) Täglich hatte ich die unverständigsten
Nergeleyen zu erdragen. Wiewohl diese Familie im allgemeinen für gut und
wohlthätig berichtiget war, fand ich doch das
Gegentheil bestättiget, darinnen, daß auch der geringste Aufwand welchen ich auf
meine Person allein machte, einen giftigen Neid in ihrer Seele erregte: Solche
Achtung genoß ich! Ich hierbey meinen Grundsätzen immernoch getreu: Alles durch
guten Willen, und Nachgiebigkeit auszumachen, nahm mir es wirklich vor meine
Gattin in guten zu gewinnen: Ich verschwendete meine ganze Beredsamkeit, sie zu
überführen: Daß man zu viel an mir thue; Allein ich fand alle Eingänge mit
eisernen Thüren verschlossen: So wie das erste, war auch das lezte Wort
verlohren.
Tändeleien |
Aus Gegetheil korrigiert |
Zeitr: 4
Was sollte ich nun weiter thun mein Freund? Gib einmal Rath; Etwann meine Rechte
mit Sturm und Gewalt geldent zu machen? Darzu war ich nicht aufgelegt, würde mir
auch nichts genüzt als Spectacul verursacht haben. Verstand und Gedult war
freylich das beste. Ich kann aber nicht leugnen daß der Wunsch in mir aufstieg:
Balt mit meiner Frau allein zu leben.
Hierzu kam noch daß mir ein höchst fataler Streich begegnete: Es war bei der
Land-Recroutirung im Jahr 1796. Da wegen Partheigkeit in der Recrouten Aushebung
tumultuarische Auftritte in hiesigen Gasthofe vorfiehlen. Aus Neugierde, und
durch Gelegenheit ging ich auch hin, und sperrte das Maul auf, kam aber darüber
mit in Anzeige: Die Sache wurde durch
Urtheil und Recht ausgemacht. 3. volle Jahre vergingen ehe es ganz beendiget
ward; Ich erhielt zwar für meine Parthie keine Strafe, ward aber mit zu den
Unkosten gezogen welche auf meine Part 10 rtl. bedrugen; Die 3. Jahre waren für
den Frieden in meinen Hause ganz zerstörend, man trieb mich einsmals so weit,
daß ich Anschläge machte: Davon und in alle Welt zu gehen; Wenn das
wiedernatürliche mein Kind zu verlassen, mich nicht zurük gehalten hätte.
Aus Urthel korrigiert |
Durch diese Kasterophe bekam ich aber eine schlechte Achtung gegen die sogenannte
Rechtswohlthat; Denn ich erfuhr
Zeitraum 4
hier: Daß auch das offenbarste Unrecht, für Recht gelden muste; Und
ich fand das Sprichwort bestättiget: Wer unter die Hände der Advocaten und
Aerzte geräth ist unglüklich.
Im ganzen kann ich nicht rühmen, daß die Simpathie, welche Eheglük begründet, in
meiner Ehe nicht Existiret habe: Das Uebergewicht, welche die Reden und
Grundsäze meines Schwiegervaters in den Kopfe meiner Gattin hatten, beraubten
mich dieses Glüks; von den ersten Tage an, als selbiger Kraft seiner hohen
Urtheilungs und raisonirungs Fähigkeiten, Eigenschaften an mir entdekte, welche
nach seinem Sistem verwerflich und strafbar waren, verlohr ich das Vertrauen und
die Achtung welche ich anfangs wirklich genoß, ganz, und nie habe ich es zu
einer rechten Harmonie bringen können. Sie ging so weit meine zweite Ehehelfte
daß sie auch diejenigen haßte, mit welchen ich einigen Umgang und Bekanntschaft
hegte, weil sie vielleicht glaubte daß ich von selbigen gegen sie und ihre
Eltern verhezt würde. Zudem berechnete sie meinen Erwerb und Einnahme gegen die
Ausgaben, da sie den hie und da Defacte machte, als ob ich Geld ohn ihren Wissen
vergeudete. Alle Vorstellungen welche ich ihr von der Unwahrheit dieser
Einbildungen machte, feuerten ihren Verdacht noch mehr an: Nun ergrif ich das
lezte Mittel um die ewigen Zänkereien und stummen Tage zu entfernen: Ich übergab
ihr die ganze häußliche
Zeitraum 4.
Casse mit Einnahmen und Ausgaben, vor meine Person, nahm ich bloß
wöchendlich 4. Gl. zu meinen Bedürfnißen, und haben wir diese Einrichtung
wirklich lange Jahre beygeführt und ich muß sagen daß es wirklich besser ging:
Besser, als wen ich durch Strenge mein Recht hätte behaupten wollen, und Härte
gegen Härte, anwenden: Besser ist es man tritt von seinem persönlichem Rechte
zuweilen etwas zurük, biß der andere Theil von selbst zur Erkänntniß kömmt. Es
traten aber Zeitumstände ein da die Casse gesprengt wurde, und die Ausgaben die
Einnahmen, überstiegen, da den diese Einrichtung von selbst aufhörte und muste
Geld geben wer welches hatte.
Meine Glüksumstände in dieser Periode waren, auser denen Ehezwistigkeiten
ziemlich gut: Es war gute wohlfeile Zeit in allen Producten, ich hatte gute
Arbeit, Holz kostete mich dazumal nicht viel, auser daß ich mirs in der
Masteney?
sammeln, und hereinfahren muste, so wie auch die Streu;
Ich führte neben meiner Wirthschaft einiges Pachtfeld welches auch nicht ohne
Nuzen war; Das Stämmgen von 20. rtl. welches meine Rosina hatte legte ich an und
wuchs biß zu 50. und ich glaubte vor meinem Ende noch reich zu werden. Meine
Vollkraft welche ich in diesen Jahren hatte ließ ich nicht unbenuzt: Ich
strengte meinen Körper außerortendlich durch Schiebebokfahren an und legte
vieleicht dadurch den Grund zu einer Brustkrankheit, in meiner ohne-
Massenei (Wald zwischen Harthau und Röhrsdorf) |
Zeitraum 4.
dieß schlechten Brust-Constitution, welche mich in meinen jezigen
Zustande zu aller Anstrengung undauglich macht.
In meinen sittlichen Caracter wurde ich in dieser Periode nichts gebessert. Die
Familie mit welcher ich in Verein lebte war im Grunde nicht die beste. Mein
Patron Schwiegervater welcher bey jeder Gelegenheit die Redner-Bühne behauptete,
glaubte schon lange den Ort, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, gefunden
zu haben; Das heist: Er verstund alles besser als andere, glaubte dahero nur da
zu seyn, um über alles was andere thun zu judiziren und zu raisonieren, und
tadeln: Eine ewige Zanksucht, und ein Erguß von Grobheiten war sein tägliches
Geschäfft, und Unterhaltung; Ich in den damaligen Zeiten immernoch schwach
genung, mich an jeden Gängebande führen zu lassen, nahm wirklich auch diese
Eigenschaften an; Ich hegte einen Hang zu Zänkereien und Streitereyen, und
lernte Zanken, wiewohl ich mit Wahrheit sagen kann daß ich nie ein Zänker
gewesen. Ich fand behagen darinne wenn ich andere durch die Hechel ziehen und
schlechte Eigenschaften an ihnen entdeken konnte, und mich in allgemeinen
Streitigketen hervor zu thun Gelegenheit hatte. Siehe mein Freund! so wirket
schlechtes beyspiel auf Schwachheit der Menschen.
So beendigte ich meine 4te Lebens Periode im Jahr
1803. Und nun geschahe mit den Anfange der 5ten abermal eine Umschaffung meines
Zeitraum 5.
Zustandes. Durch unglücklichen Handel in Garn und Leinwand, durch
grosse Teuerung, Mangel an Nahrung, schwehre Krankheiten, schmolz mein 50.
Thaler Kapitälgen biß auf einige Noththaler zusammen, alle Nahrungszweige, durch
welche sich unsere Väter genehrt hatten verschwanden ganz; Der benachbarte Wald
die Masteney,
woraus wir seit menschengedenken mit Holz und Streu versorgt
warden, wurde uns ganz abgeschnitten. Hierzu kam noch daß das Kriegsungewitter,
welches schon viele Jahre in entfernden Ländern gewüthet hatte, sich unsern
Gränzen näherte.
Der Krieg war das Schiksaal welches alle meine vorigen an Härte überdraf: Da habe
ich erfahren wie Menschen gegen Menschen, die Menschheit ausziehen konnten, wo
sie sich gegenseitig als einen verworfenen Unrath von der Erde zu verdilgen
trachteten; Da man alles Gefühl verbannte, und mit satanischer Wuth allen
Wohlstand zertrümmerte; Wo man das Ansehen der Grossen spottete, und den ruhigen
und friedlichen Hüttenbewohner die schreklichsten
[ ]
Drangsaale zufügte, und ihn
behandelte, als ob er nicht mehr auf die Welt gehörte.
, getilgt (Hrsg.) |
Seit dem Jahre 1806. als Sachsen unter die
Disposition des damaligen französchen
Keysers Napoleon kam, ward unser Wohlstand sehr erniedriget: Schwere
Geldcon-
Zeitr: 5.
tributionen,?
Stokung und Sperrung alles Handels und Gewerbes,
Teuerung aller Bedürfniße, häufige
Einquartierungen fremder gehäßiger, und brutaler Truppen, deren Sprache und Lebensart
uns unbekannt war; Jede Ankündigung derselben war mir ein Schrek. Unruhe und
Furcht traten ins Gemüthe; Die kümmerlich erworbenen Groschen wurden sogleich
zur Hand genommen: Fleisch, Eyer, Semmel, Bier, Brandewein, und noch mancherley
muste angeschaft werden; bei Eindritt in das Hauß hörte aller Wohlstand auf,
mehrentheils waren die Stunden ihres Daseins Stunden der Qvaal; Immerwährender
Tadel der Speise und Gedränks, mühsame Wäscherey von Hemden, Hosen, Camaschen,
Tücher und dergleichen, Schubuzen?
und schmieren, alles muste geleistet werden; Wie froh war man wenn sie
abmarschirten, und welche Erleichterung fühlte das Herz; Doch öfters währete die
Noth halbe biß ganze Monate fort.
Beitrag zum Unterhalt der Besatzungstruppen |
Aus Einqurtierungen korrigiert |
Schuhputzen |
Mit allen diesen Plakereyen mochte es aber immernoch hingehen, denn es ward eine
Einrichtung gedroffen daß die Einqartierungen gewissermaßen bezahlt worden, und
ob selbige schon nicht allemal hinlänglich war, so blieb man doch wer man war,
so lange es bein Geben blieb. Dies ging so fort biß ins Jahr 1813. hier hörte
alle Ordnung auf, und wurde an keine Bezahlung mehr gedacht.
Zeitr: 5.
Hier mein Freund: muß ich noch einige Umstände nachholen welche mir zurük
geblieben sind. Gleich zu Anfange dieser 5ten
Periode fiel es meinem Schwiegervater ein, sein Auszugs Häußgen zu verlassen,
und seinen Aufenthalt bey mir in meiner Stube und Hause zu nehmen; indem ihn das
benöthigte Feuerholz zu grossen Aufwand machte; Er ließ mir durch meine Frau den
Andrag machen, mit der Bedingung: Daß ich dagegen das Häußgen nach meinen
Belieben benuzen solle. Da ich ihm dieses nicht verwehren konnte weil er sich
bein Haußverkauf zugleich den Aufenthalt in meiner Stube und Hauße vorbehalten
hatte, ich auch, ich weiß nicht aus welchen Gründen mehr Einigkeit im Umgange
hofte, auch zugleich mir Rechnung auf die benuzung des Häußgens machte, so
willigte ich in sein Begehren ein. In kurzer Zeit räumte er aus, und schlug
seine Wohnung in meiner Stube und Hause auf. Ich riß hernach das Häusgen von
grundaus weg, und benuzte die Maderialien anderwärts.
Was mir aber hier vor ein Malheur zubereitet wurde ist über alle beschreibung:
Einige Zeit ging es gut, so lange die Sommermonate währeten, als ich aber gegen
den Winter bey ihn in der Stube arbeitete, erkannte ich erst was es zu bedeuten
habe, mit diesen Mann beysammen zu seyn; Doch erzeigte er mir das lezte Jahr
noch einen grossen Dienst dadurch daß er meinen Sohn, welcher nunmehro aus der
Schu-
Zeitraum 5.
le war, in der Schneiderprofeßion unterrichtete, welches er auch mit
vielen Vergnügen that.
Übrigens waren mir die 5. Jahre welche er hier noch verlebte schwehre Jahre: Ich
würde sie nicht überstanden haben, wenn es sich nicht gefügt hätte daß ich die
lezte 2. Jahre anderwärts bey einen gewissen Marly-Fabricanten hätte arbeiten
können, da ich den bloß zum Essen und schlaffen zu hauße war, wiewohl diese
Einrichtung mit vielen Beschwerden und Verdrüßlichkeiten verbunden war, so
befand ich mich doch besser dabey als daheim. Ich würde dir mein Freund die
Ursachen jener schweren Belästigungen welche ich zu Hauße zu erdragen hatte
erzehlen: Allein ich bin dessen fast müde, und ich weiß nicht ob es rühmlich ist
von einen Manne, mit welchen man in enger verbindung gestanden, nach seinen
hinscheiden, nur schlechte Eigenschaften zu erzehlen; Nur so viel will ich
sagen, daß es schien, als ob er sich vorgenommen habe, ohngeachtet seiner vielen
körperlichen Leiden, die letzten Lebens-Jahre, sich und seinen Nebenmenschen,
bloß zum Verdruß, und zur Qvaal zu verleben.
Im Abrill 1809. starb er, und du wirst mir verzeihen wenn
ich sage: Daß ich gern mit ihm zu grabe ging, und daß seine Verhältniße eine an
Verachtung gränzende Abneigung bey seinen Andenken in meiner Seele
zurükliessen.
Zeitr: 5.
Im Jahre 1804. ließ ich mit Bewilligung meiner Gattin meinem Sohn die
Schuzblattern?
einimpfen; Die
Impfung gerieth gut und er ist biß jezt von den natürlichen befreiet blieben.
Ohngefehr einen Monat hernach fiehl ihn ein schweres Fieber mit einer solchen
Heftigkeit an daß ich ihn zu verlieren glaubte; er war biß jezt die einzige
Stüze meiner Hofnung und nun im 10ten Jahre. Das
Ansehen ihn zu verlieren machte mich untröstlich, und sowohl mein als meiner
Gattin Gram stieg aus höchste; Mein Schwiegervater von alten, unvernünftigen
Vorurtheilen eingenommen sagte mir hirbey ins Gesicht, daß dieß eine Strafe
Gottes sey welche ich mir dadurch zugezogen daß ich durch die Blatter-Impfung
ihn ins Gericht gegriffen - - Urtheile mein Freund, was ich hierbey empfand? - -
Mein Sohn wurde zwar wieder hergestellt, ich hatte mich aber so darüber gekränkt
daß ich nun selbst in eine schwehre Krankheit verfiehl, welche mich am Rand des
Grabes brachte; Doch überwand meine Natur nach langen siechen und ich wurde
wieder hergestellt.
Pocken |
Im Frühling 1811. hatte ich wieder eine schwere Krankheit, als ich einigermaßen
hergestellt war, ließ ich meinem Sohne das Hauß nebst Zubehör käuflich
verschreiben und Conformieren. Im Herbst selbigen Jahres
Zeitr: 5.
ließ ich ihn als Schneiderlehrling bey Mstr:
Kunzen in Bischofswerda,
vor dem versammelten Handwerke und geöfneter Lade aufnehmen. Und übers Jahr
1812. wurde er mit eben den Umständen loßgesprochen, und vor einen ortendlichen
Gesellen erkläret; In kurzem noch vor Winters Erwarb er sich das Recht als
Landschneidermeister, durch fertigung eines Meistertstüks vor den versammelten
Handwerke, und entrichtung des gewöhnlichen Schmaußes und Kosten. Dieses alles
zusammen machte einen Aufwand von beinahe 30 rtl. Mein baares Kapitälgen, auf
welches ich vor 15. Jahren stolz war, war nunmehro gänzlich verschwunden, und
bloß das hatten wir nun was unsere Hände erwarben. Demohngeachtet schienen die
Umstände doch günstig, und ich glaubte die wiedrigen Schiksaale, gegen welche
ich so lange gekämpft entlich besiegt zu haben: Aber unvermerkt thürmte sich ein
Ungewitter über mir und meinen Zeitgenoßen auf, wovon ich noch kein Beyspiel
erlebt hatte.
Wie schon gesagt: Seit dem Jahre 1806. hatten wir viele Plakereyen, Druk und
Leiden, welche der Krieg verursachte, auszustehen, doch waren dieß immernoch
vorübergehende Launen, so lange der Tummelplaz in der Entfernung blieb. Durch
den unglüklichen Feldzug welchen Napoleon 1812. unternahm, geschahe es, daß dieß
fürchterliche
Zeitr: 5.
Ungewitter sich zulezt noch über unsern betaurungswürdigen Vaterländgen
entlastete; Dieser unglükliche Feldzug war gegen Rußland
gerichtet: Schon in den
Wintermonaten 1812. ging Napoleon mit einer ungeheuren Armee aus allen Nationen
zusammen gesezt durch Teutschland und Pohlen
nach Muskau, es fiehlen viele
Einqartirungen, doch waren diese Völker dießmal nicht so grob und prutal wie
ehemals, sie schienen gleichsam ihr Unglük zu ahnten. Sie drungen auch wirklich
bis Muskau vor, aber eine auserordentliche Kälte welche schon in den Monaten
October und Novembr:
einfiel, und Hunger rieb diese ungeheure Armee fast ganz auf: Nur etwas wöniges
von 100. kaum 1. Mann kam zurük, aber täglich Transporte von erfrohren Krüpeln,
und währeten diese Plakereien vom Anfange des Jahres 1813. biß zu Ende des
Marzens fort wo wir öfters die traurigsten Spuren menschlichen Elends
erblikten.
Zu Anfange des Monats Aprill, dieses für
Sachsen so
merkwürdigen als unglüklichen Jahres war es, wo ich abermal eine Lebenperiode
und zwar die fünfte beendigte; Das heist, mein 50tes Jahr beschlos, und mit denselben ein halbes Jahrhundert
zurükgelegt hatte.
Zeitr 6.
Immer von Zeit zu Zeit hatte ich auf beßere Umstände auf Ruhe und Glük gehoft,
und doch war meine und aller meiner Zeitgenossen Lage und Aussichten jzt so
schlecht als sie jemals gewesen; Die Rußischen und Preußischen Armeen welche
sich jezt unserer Gegend näherten machten uns viele Furcht und Besorgniße. Im
Aprill fiehlen viele Einqartirungen derselben vor:
Alle Ordnung wurde aufgehoben und ward an keine Bezahlung mehr gedacht. Die
rußischen Einqartirungen waren wegen der Rohheit und Unmäßigkeit dieses Volks
besonders lästig und ängstlich,
Lebensmittel konnte mann nicht genung anschaffen, und den Brandewein soffen sie wie
Wasser, wozu noch kam daß sie keine Ordnung hielten und sich selbst nach
Belieben einqartirten, zudem hatten sie auch die fatale Gewohnheit, daß sie aus
etlichen Qartiren zusammen gingen, und Visiten gaben, wobey den derb Brandewein
gezecht wurde, welches den für den Wirth, welchen es bedraf, ein grosses Malheur
war, weil selbiger vor diesen Brandewein sorgen muste, biß die löbliche Visite
erfüllt, sich wieder fortmachte. Sie hatten vielen Nebentroß?
von
Fuhrwesen welche nicht einqartiret wurden, diese nähreten sich von rauben, und
ihre Pferde drieben sie auf unsere Gärten und Fruchtfelder auf die Weide.
Aus Lebensmittes korrigiert |
Tross: Menge, Haufen von Menschen und Sachen |
Zeitraum 6.
Zu Anfang des Mays war meine Baarschaft welche ich in meinen Hause hatte, ganz
erschöpft, bisher war es immernoch bein Geben geblieben, und man hatte sich
bißher noch als Herr seines Eigenthums bedrachten können, jezt ließen die
Umstände balt Aufdritte vermuthen, wo es bunt über Eke gehen könne; Die
mehresten Leute verstekten dahero ihre besten Habseeligkeiten, oder vergruben,
und vermauerten selbige in Kellern; Ich meinestheils machte mir ein verborgen
Gemach in meinen Hauße zurechte, dahinein ich in 3. Laden meine besten Meubeln
und Kleider stekte.
In den ersten Tagen des Mays wurden die Russen und
Preußen von Napoleon, welcher mit einer neuen Armee entgegen kam, in verschieden
Schlachten bey Leipzig und
Lüzen total geschlagen.
Vom 5ten an
war die hiesige Strasse ununterbrochen mit Fuhrwesen von Bleßirten?
nebst Cosacen und allerley Troß bedekt
welche alle schleunig gegen Bauzen
reterirten, und dabey grossen Plak und Unruhe
im Dorfe machten. Am 9ten war eine fürchterliche
Kannonade gegen Meißen, und wir
waren in grosser Furcht, die Reterade?
währte den ganzen Tag auf
der Strasse.
Verwundeten |
Retirade: Rückzug |
Den 10ten aber ward es arg, es kamen viele Truppen
Rußische und Preußische, Kavallerie
Zeitraum 6.
und Infanderie, Artillerie und Fuhrwesen, als ein buntes Gemisch
aus allen Gegenden durch das Gebüsche und den Wald, der Kanonen Donner
brüllte heute näher, eine grosse Abtheilung ihrer Armee nahm seine Reterade über
Dresden und Bauzen
und der Trubel ward groß. Unbekannt mit dergleichen
kritischen Vorfällen, glaubte ein jeder, ohne Lebens-Gefahr nicht im Dorfe
bleiben zu können: Alles wanderte aus in endlegene Wälder und Püsche, und nahmen
ihr Vieh und ein Theil ihrer Meubeln mit; Es lagerte sich viel Artillerie und
Volk auf der Seite gegen Goldbach.
Aus auf korrigiert |
Ich meines theils ganz wie in der Bedäubung, glaubte auch nichts bessers thun zu
können; ich flüchtete auch mit meiner Frau und Sohn welche von unseren Sachen so
viel sie fortbringen konnten, mitnahmen, ich verrammelte Fenster und Thüren,
nahm meine Kuh und überließ meine liebe Wohnung und Wirthschaft den
anmarschierenden Haufen - - Wenn du denken kannst mein Freund so stelle dich
jezt an unsere Stelle und urtheile welche Verzweifelung und Bedäubung zu einem
solchen Unternehmen gehört?? Wir flohen in einen endlegenes dikes Gebüsch an der
Frankenthaler Gränze, wo wir nebst mehrern unserer Nach-
Zeitraum 6.
barn 3. Tage und 3. Nächte zubrachten.
Den 11ten war wieder grosser Trubel, und eine
heftige
Kannonade gegen Dresden,
die Kanonen Schläge brüllten heute viel näher und
teudlicher als gestern, es entstandt auch Feuer mit starken Rauche, gegen Abend
lagerte sich zu beiten Seiten unsers Dorfs viel Volk. Stelle dir vor wie es
diese Nacht in demselben muß seyn hergegangen, da alle Häuser allein waren.
Aus Kannoade korrigiert |
Den 12ten früh war ein diker Nebeln,
heute konnte man vor gewiß erwarten daß unser
Schiksaal entschieden werden würde, ich wünschte aber doch mein Hauß vorher noch
zu besuchen: Ich schlich mich durch den Gikelsberg
und durch die Wiesen herein,
Gott welche Zerstöhrung fand ich! Alle Thüren waren aufgebrochen die Schlösser
ruiniret, alles ausgesucht und ausgeplündert und wild untereinander geworfen,
jezt war aber alles ruhig weil es just um die Zeit war daß das Volk ausrükte;
Ich hörte aber ein furchtbares Gedöse zu beiden Seiten des Dorfs. Mein verborgen
Gemach war aber nicht entdekt worden, das Graß umher war alles darnieder
geritten, die kleine Öhllampe stand vor der Haußthüre und war angezündet
gewesen, auf den Stubendielen war Feuer angeblasen worden wovon ein grosses Loch
eingebrannt war.
, ergänzt |
Zeitraum 6.
Mich überlief ein Schauer, besahe meine Bäume welche in voller blüthe standen,
und mein Gärtgen und Blumen-Stöke, und goß sie noch einmal, worauf ich mich
gleichsam abschiednehmend in aller Stille unter bedekung des Nebels wieder
entfernte.
Gegen 10. Uhr begann zwischen Fischbach und
Schmiedefeld die Kanonade, welche
balt heftig wurde so wie das Feuer der Infanderie. Schmiedefeld
ging in Feuer auf, und das Gefecht zog sich gegen Harthau
und ließ uns ein gleiches Schiksaal
hoffen. Doch konnten wegen der schlechten Lage des Dorfs, die Russen und Preußen
sich nicht darinnen halten, und die Reterade ging rasch gegen Goldbach biß
hinter Bischofswerda, welches denn gegen Abend in Feuer aufging. es war ein
grausenvoller Tag, die Kannonade war erschreklich so wie das Feuer der leichten
Infanderie, noch nie hatten wir ein solches Schauspiel auf unsern
vaterländischen Fluren gesehen. Noch vor Abends wurden wir von einen Schwarm
französchen Reutern?
überfallen,
welche uns in unsern Busche ausplünderten: Geld, Kleider, Lebensmittel, alles
was ihnen gefiehl pakten sie auf ihre Pferde, und fort damit. Die folgende Nacht
war fürchterlich: Der Brand von Bischofswerda
bedekten den Himmel mit einer
gräßlichen Röthe.
Reitern |
Zeitraum 6
Den 13ten früh bezogen wir unsere Wohnung wieder,
indem sich der grosse Schwarm etwas entfernt hatte; Bey meiner Rükkehr erkannte
ich aber welche Tohrheit ich begangen hatte: Ich erkannte daß ich vor meine
Person ohne Lebensgefahr hätte können da bleiben, wenn sich ja meine Frau mit
der Kuh entfernt hätte: Ich hätte durch meine Gegenwart vieles können abwenden,
vieles können erhalten, und noch mehr versteken, im ganzen währe nicht so viel
grassiniret?
worden. Ich
faßte daher von der Zeit an den Entschluß: Mein Hauß nicht mehr zu verlassen so
lange ich nur Lebenssicher zu seyn glaube.
grassieren: wüten |
Nachmittag ging ich biß ins Niederdorf; Es war immernoch grosser Trubel auf der
Strasse, und im Dorfe zeigten sich hie und da Räuberschaaren welche um Beute zu
machen, in denen von ihren Bewohnern verlaßnen Häusern herum wühlten; Ueber all
sahe ich die gräßlichsten Spuren der Rohheit und Verwüstung: Alle Wege im Dorfe
waren mit Stroh, Heu und verschütteten Getreide bedekt, alle Tühren waren
abgehoben, alle Fenster eingeschlagen, die Kachelöfen zertrümmert, die
Ofenblasen?
so wie alles Kochgeschirre weggenommen, alles Vieh groß und klein
genommen, alle Schränke und Laden aufgeschlagen, es war im höchsten Grad
Verwüstung. Ich kehrte mit Wehmuth zurük.
Ofenblase: "eine in den Stubenofen oder dessen Brandmauer eingesetzte Blase, d.i. länglich rundes kupfernes Gefäß, vermittelst des im Ofen befindlichen Feuers beständig warmes Wasser zu haben." (Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 581. ) |
Zeitraum 6.
Alle Fluren ums Dorf waren mit Barken
und Strohhütten bedekt, und die Saaten und
Felder verwüstet. Den 14ten war mein Sohn
ausgegangen um die Gegend bey Schmiedefeld
wo vorgestern das gröste Treffen war
zu besuchen: Er war hie und da auf Todte gestossen, welche in ihrem Blute
gewälzt dagelegen hatten, und einen schauderhaften Anblik gegeben.
Biß zu Ende Monats war noch öfters Einfall, und Plünderung, und täglich Trubel
auf der Strasse und muste man alles verstekt halten: Jezt lernten wir erst
erkennen was Krieg war und was Krieg zu bedeuten habe: Viele Jahre hatten wir
die Ereigniße desselben mit vieler Neugierde in denen Zeitungen gelesen, jezt
erfuhren wir selbst hinlängliche Erfahrung, wiewohl zu unsern grösten Schmerz:
Den dergleichen hatten wir uns nicht vorgestellt.
Gegen Ende dieses Monats war die grosse Schlacht bey
Bauzen, und kurz darauf
wurde ein Waffenstillestandt biß in die Mitte Augusts geschlossen. Die Zeit des
Waffenstillestandtes war aber eine bängliche und traurige Zeit; Eines Theils
wegen
viele Zurüstungen, und Furcht und Warten der Dinge die da
kommen sollten. Anderntheils wegen
gen ergänzt (Wortende nach Zeilenwechsel fehlt) |
Zeitraum 6.
der Wagen Transporten, welche täglich die hiesige Straße paßirten, und
unausgesezt hier lagerten, das grüne Korn welches jezt geschoßt hatte und
blühete, wurde soweit sie es holen konnten, abgehauen, und die Pferde damit
gefüttert, und als dieses zu hart wurde, ging es über den Haber und Gerste her,
auch fielen öfters starke Einqartirungen vor.
Hierauf aber folgte von der Mitte Augusts, biß in die Mitte Octobers eine Zeit
vor, dergleichen unsere Vorfahren nicht erlebet haben: Dieß war eine Zeit der
Angst und des Schrekens, da öfters an Einem Tage und Nacht, diese Gegend mehr
gelitten hat als in ganzen 7.järigen Kriege.?
Siebenjähriger Krieg: 1756-1763 |
Meinen gefasten Vorsatz mein Hauß nicht mehr zu verlassen blieb ich dießmal
getreu; und so habe ich alles erfahren was während dieser 2. Monate vorgegangen
ist und bin von allen selbst Augen-Zeuge. Biß zum 12ten September, war noch zuweilen ein halber und ganzer Tag, da die
grossen Hauffen sich entfernten, und etwas Ruhe war; Nach diesen war kein
Absetzen mehr: Alle Tage war viel Volk und Lager da.
Ungeheuer, in Menschengestalt, in schwar-
Zeitraum 6.
zen mit blechnen Schild besezten Schako,?
und grauen Kitteln, wimmelten
zu tausenden, mit einem Gebrüll fremder Sprache, um, und in unsern armseligen
Hütten. Von grausamer und schändlicher Raub-Begierde gedrieben raften sie alles
weg was ihnen vor die Hände kam, selbst die Kleyder vom Leibe und Schuh von
Füssen muste man unweigerlich an sie überlassen, alles wurde umgestöhrt,
herumgeworfen und vernichtet; Alles wurde erbrochen und ruiniret. Alle
schmuzige, staubige und berauchte Winkel, unter den Ofen und Bänken, auch in den
obersten Gipfel des Haußes, wurden fort und fort mit Ungestüm durchwühlt und
durchkrochen, und wo 99. schon gesucht hatten, glaubte doch der 100te noch etwas zu finden.
Tschako: zylindrischer (Husaren-)Helm |
Ganze 2. Monate habe ich diesen Gräuel ausgehalten und mit angesehen, Betten
wurden zum Theil ausgeschüttet, Haußgeräthe aller Art, Tische, Stühle, Bänke,
Laden, Schränke, Weberstühle, Spinnerade, Wagen, Akergeschirr, alles wurde
hinaus gedragen und verbrandt. Alles Bretterwerk wurde von denen Häusern und
andern Gebäuden abgerissen, auch ganze Häuser und Scheunen stükweiß
eingeschlagen und zu Feuerholz gebraucht, die Dächer wurden heruntergerissen,
alle Thüren und
Thohre wurden abgehoben,
gespün-
und ergänzt |
Zeitraum 6.
dete Läden aufgebrochen, die Treppen weggerissen, Kachelöfen
zertrümmert, die Ofenblasen genommen, sowie alles Kochgeschirre und Döpferwerk.
Heu, Stroh, Gedreydegarben, Flachsgebunde, alles ward hinaus gedragen, nichts
von allen Lebensmitteln ward gelassen. Alles Vieh, klein und groß, wurde
verzehrt, oder weggedrieben, alle Feldfrüchte die noch aussen waren wurden rein
weg furagiret?
und verwüstet, oder zusammen geritten, und gefahren.
furagieren: Lebensmittel beschaffen |
Es schien als ob sich alles zum Verderben vereinigte: Ein unaufhörliches
Regenwetter welches um diese Zeit einfiel, machte alles zu einem Sumpf; Nun
kamen die alltäglichen Märsche von Kavallerie, und Infanderie, jede Kollonne
derselben suchte sich einen andern Weg, und so wurden alle Gegenden so weit man
sehen konnte zu einen grundlosen Morast, wo die schönsten Wiesen gewesen waren
sahe man keine Spur von Rasen mehr.
Zeitraum 6.
Es gab einen schauderhaften Anblik wenn man in die Gegenden ums Dorf hinaus sahe:
alles war mit Strohhaufen und Hütten bedekt, alles voll Pfähle geschlagen, alle
Felder wie ein Ruhraker?
durchritten und durchfahren; Alles lag voll todter Pferde, auch hie und da
Menschen die niemand begrub; Die Luft war stinkend und infiziret, und war mit
einen blauen Nebel von den vielen Rauche angefüllt. Keine Gloke, keine Uhr hörte
man mehr schlagen. Die Gebäude standen da wie die abgefleischten Gerippe, und
gaben ein furchtbares Ansehen, alles war geschändet und verunstaldet.
umgepflügter Acker |
Doppelt grausam waren die Nächte: Das Suchen, Wühlen und Plündern, ward auch bey
Licht, brennenden Spähnen und Strohwischen fortgesezt, selbst untern Strohdache
und obersten Gipfel der Häuser. Die nächtliche Stille machte das furchtbare
Gedöse, Brüllen und Arbeiten an denen Häusern und Gebäuden noch hörbarer; Haken,
Schlagen, Knallen und Brasseln währte
Zeitraum 6.
fort und fort, und man sahe weiter nichts, als herum streichende
Schaaren, furchtbarer Räuber und auflodernde Feuerlohen, welche die ganze Gegend
erhelleten.
So kamen die mehresten Leute um alle das Ihrige,
wohlhabende wurden arm, und
reiche Kapitalisten gingen elend von allem entblößt, von Gram und Kummer genagt,
und wußten nicht wo sie sich hinwenden sollten.
Aus wohlhabenden korrigiert |
Eine pestartige Krankheit, welche die Soldaten einschleppten machte das Elend
vollkommen: überal lagen Kranke ohne Wartung und Pflege, ohne Lapsal: So rafte
der Tod ganze Familien weg, es wurden Wittwen und Weysen die keinen Sorger
hatten, O! wie viele meiner Zeitgenoßen haben damals ihre Laufbahn
beschlossen,
traten ab von den Schauplaz des
Elendes, und unterlagen einem Schiksal welches ihnen zu schwehr ward.
, ergänzt |
Theils vor Hunger, theils denen Mißhandlungen auszuweichen, waren die mehrsten
Zeitraum 6
Einwohner und Familien ausgewandert, und suchten Herberge bei fremden
Leuten in abgelegenen Orten, wo der Kriegs Trubel nicht so heftig war. Viele
sind nicht zurükgekehrt, auch dort fand sie der Tod, und ihre Asche ruhet in
fremder Erde; viele zurük kehrende funden ihre Wohnungen in der Asche, oder
abgedragen, und unbewohnbar.
Mein einziger Bruder ward auch ein Opfer der Trübsale: Schreken und Gram hatten
so auf ihn gewürkt daß ein boses Fieber sich seiner bemächtigte und
überwältigte. Einen Monat zuvor verlohr er durch Feuer welches die Soldaten
verwarloßten, seine Wohnung; Nun war er mit den Seinigen nach
Mühlsdorf gegangen, wo er bey seinen
Schwieger Eltern welche daselbst wohnhaft waren den 25ten
Sept: nach einen kurzen Lager gestorben war. - Noch jezt
traure ich um ihn; Von Kindheit auf war sein Leben ein Zusammenhang von
mancherley Leiden, gern hätte ich
ihn noch frohe Tage gegönnet.
Aus in korrigiert |
Furchtbare Kanonaden und Gefechte welche die Erde zittern machten, und das
Geheule und
Zeitraum 6.
Gedöse der hie und da einschlagenden Kugeln, jagten mich und die noch
zurük gebliebenen Einwohner öfters aus unsern Winkeln, und suchten mit scheuen
Blik das Freye, um das Leben als die Lezte Beute noch darvon zu bringen. Oefters
entstanden Feuersbrünste: Die Niederbrennung Eines oder mehrer Häuser war den
Soldaten Schauspiel und Spas, wobey sie sich ergözten und wärmten.
Siehe mein Freund: Dieß war die sehnlich erwünschte Zeit: Hast Du sie nicht
gehört diese Wünsche? welche seit den Anfange der französchen Revolution fast
aus jeden Munde schallten? Wo die Unzufriedenheit und der Neid, bey guten Zeiten
und Ueberfluß, unverschämt und frech genung denen Franzosen Glük wünschte, um
Freiheit und Gleichheit in der ganzen Welt stiften zu können - - Wir haben sie
erlebt diese frohe Zeit, wir haben Erfahrung darvon gemacht. Wie mag sie meinen
Zeitgenoßen wohl gefallen haben? - Wahre Freyheit und Gleichheit: Von allem
befreiet, selbst von Hofe Diensten, und allen steu-
Zeitr: 6.
erbaren Abgaben, und der Arme war so glüklich wie der Reiche, und der
Grosse so gut wie der Kleine, alle hatten einerley Schiksaal. - - Ich meines
theils werde das Gräuelbild nie aus meiner Seele bringen: Angst und Schreken
hatten so auf mich gewürkt daß mir lange Zeit hernach eine Aengstlichkeit
anwandelte wenn ein Hund in der Nachbarschaft bellte, und mich allemal deuchte
als wenn ich weinen müste wenn ich mich derselben erinnerte. Ich könnte zwar ein
großes Buch anfüllen, wenn ich alle die Noth und das Elend, und die Gräuel und
Verwüstungen, welche in dieser kurzen Zeit vorgegangen sind, und wovon ich
selbst mehrentheils Augenzeuge gewesen, berühren wollte: Allein ich breche ab,
und wünsche das ein dergleichen Schauspiel nie mehr auf unsern vaterländischen
Boden gespielet werden möge.
Im Monat October entfernte sich der Krieg aus hiesiger
Gegend, und die großen Heere verlohren sich, und man fing an etwas freyer zu
athmen, gegen die Mitte Novembers, hörte man hier das
Mordgebrüll der Kanonen nicht mehr, welches
Zeitr: 6
nun seit 3. Monaten Tag und Nacht unsere Ohren erfüllet, und unsere
Erde erschüttert hatte.
Der große Sturm hatte sich nun entfernt, und man kam jezt gleichsam zur
Besinnung, jezt bedrachtete man erst seinen Zustand, jezt vermiste man erst sein
Vieh, Kleyder und Lebensmittel, alles war weg, und man sollte doch leben; Das
einzige Mittel unser Leben zu fristen war nun: Betteln gehen, nach Ortschaften
welche nicht so sehr mitgenommen waren wie wir; Ich habe es auch versucht, bin
Zwey Mal oder Drey nach Brod und Erdbirnen gegangen, habe aber befunden daß dieß
der niedrigste Bewerb ist den ein Mensch ergreifen kann: Wahre Selbstverachtung
gehöret darzu, und ganz abgestumpften Sinn.
Doch kann ich nicht leugnen, daß mich das Glük bey alleden furchtbaren Trubeln
besonders ausgezeichnet hatte: Ob mir schon vieles genommen und vieles gelitten
habe, war mir doch mein Hauß nicht ruiniret worden, kein Bret abgerissen, keine
Tühre abgehoben, habe auch mein ganzes Haußgeräthe erhalten; War auch so
glüklich
Zeitr: 6.
daß mir mein verborgen Gemach welches ich oben untern Dache hatte,
worinnen ich die besten Meublen und Kleyder hatte, nicht ausgeplündert ward; In
der Kammer hatte ich in den Fußboden ein Bret das ich aufheben konnte, da ich
denn in die Holung darunter sehr vieles verbergen konnte, welches nie entdeket
ward, und so konnte ich auch immer etwas Brod erhalten, und bin nie ganz ohne
Brod gewesen, wiewohl es zur Zeit manchmal sehr sparsam darmit herging. Auch ein
Paar Döpfgen Butter welche meine Frau gesammelt, blieben uns übrig. So wie etwas
Korn und Hafer welchen wir eingebracht und gedroschen hatten, wovon wir ein
Paarmal baken konnten. Auch fand ich Mittel etwas Holz anzuschaffen.
Auch hatte ich das Gelük welches wönige meiner Nachbarn hatten, daß ich meine
Zuchtkuh mein einziges Stük Vieh nicht verlohr: An einen der furchtbarsten
Nächte, den 12ten
September, (so lange hatte ich selbige in meinen Hauße
erhalten) trieb ich sie in der Dunkelheit bey vieler Gefahr durch die Streucher
über den langen Teichdamm, durch die Wiesen,
Zeitr: 6.
den hier war noch der Einzige Ausweg, nach den Gebüsche biß nach
Breitenbach,?
und den andern Tag darauf nach
Ohorn, woselbst sie
ein Mann Nahmens Damme übernahm, und mit Futter versorgte da die Kuh reichlich
in Nuzen war, dieser gute Mann hatte sich auch nebst seiner biedern Frau alle
Mühe gegeben selbige zu erhalten, viele Nächte bey schlimmer Witterung damit im
Busche aufgehalten, auch 4. Wochen mit selbiger in Pulßniz
gelegen. Den 14ten
November holte ich sie wieder heim, es war diesen Tag
sehr schlechte Witterung, Regen und Schnee, so daß ich keinen trokenen Faden am
Leibe erhielt, demohngeachtet war in meinen Hauße diesen Tag eine Art von
Freudenfest. Und ob gleich außer etwas Wöniges Stroh und Kraut das überig
geblieben war kein Futter da war so fand ich doch Mittel etwas anzuschaffen,
wiewohl es schlecht war.
vermutlich der heutige Ort Bretnig |
Da um selbige Zeit ich und mein Sohn, etwas Arbeit bekahmen auch meine Frau noch
etwas zu spinnen hatte, so glaubten wir uns so durchzubringen, allein jezt
hatten wir unser härtestes Schicksaal noch zurük.
Zeitraum 6.
Unser Umstände wurden wegen verschiedener Unglüksfälle und Krankheiten elender
als ich sie jemals erlebt habe: Durch viele Schreken und Angst, waren unsere
Kräfte schon geschwächt, dann folgte immer Eins auf das Andere: Zu erst schlug
ich mir durch einen unglüklichen Fall eine Ribbe auf der Brust entzwey, daß ich
den Wundarzt brauchen muste. Hernach muste der Sohn an einer entzündung des
Halses bettlägrig seyn und den Arzt brauchen. Um diese Zeit geschahe das
Aufgebot der Landwehr: Alle Manns-Personen von 18. biß 40. Jahren ohne
unterscheid musten unter das Gewehr, und gegen den Feind marschiren, dieß machte
die Noth vollkomen. Da mein Sohn um diese Zeit am bösen Halse lag, so must er
nach seiner Genesung, nebst andern, sich den 12ten
Januar, 1814. nach Stolpen
gestellen, da er denn zur
Landwehr Reserve eingeschrieben ward, wobey er sich unterwegens durch einen
unglüklichen Fall eine Achsel ausfiel, die muste der Arzt einrichten, und er
konnte mehrere Wochen nicht arbeiten. Noch nicht genung den 30ten
Jan: überfiehl mich das böse Nervenfieber und den 31ten legte sich auch meine Frau ein, jezt kam unser
trauriges Schiksaal aufs höchste. Diese Krank-
Zeitraum 6.
heit war die härteste Prüfung welche ich bißher erfahren hatte: Durch
diese erhielt daß dießjährige Elend die Vollkommenheit: Kein Brod, kein Geld,
von keiner Art Lebensmittel etwas, nicht Ein Gerichte Erdbirnen hatten wir
vorräthig; Hierbey einen Winter mit tiefen Schnee und strenger Kälte, Der Sohn
konnte nichts verdienen weil er alle Geschäfte im Hause verrichten und uns
aufwarten muste.
Biß zum Gerippe abgezehrt, waren wir mehrere Monate bey strenger Kälte in die
Stube als in einen Kerker eingeschloßen! Zeit meines Lebens werde ich mich mit
Wehmuth dieses Zustandes erinnern: Wenn ich nebst meiner Gattin matt und
schmachtend, auf unsern Lager nach dieser und jener Erqvikung sehnten, und keine
Hofnung sahen selbige zu erlangen; Alle Umstände vereinigten sich das Elend zu
erhöhen: Es war vor Geld fast nichts zu haben, weil alles von fernen Orten her
gebracht werden muste, doch war Brod genung zu haben das [Pfd]?
vor 1. Gl. welches denn ein grosses Gelük war,
auch Coffe und Heeringe waren um billigen Preiß und auch zu haben und dieß war
meine mehrste Erqvikung.
Pfund |
So sorgte auch die Vorsehung Augenscheinlich;
Zeitraum 6.
Ein Freund nahm sich unserer an, der, ob er gleich nicht reich ist, uns mit Geld
unterstüzte, welches sonst schwehrlich ein anderer gethan haben würde, und eine
alte Schwägerin besuchte uns alle Tage, und machte uns die Betten zurechte.
Schon hatte ich ein Viertel Jahr gesiecht, und noch war ich nicht im Stande eine
Arbeit zu verrichten, oder auf ein benachbartes Dorf zu gehen, so sparsam
kehrten meine Kräfte zurük, und dieses bloß aus Mangel Kräftiger Speisen.
Siehe mein Freund! So beendigte ich mein 51tes
Lebens-Jahr welches ich künftig daß trübseeligste Jahr meines Lebens nennen
werde. Die traurigen Begebenheiten hatten mich so tief gebeugt, daß das Andenken
an selbige mir allemal eine Traurigkeit verursacht. Doch darf ich aber auch
nicht vergessen zu erinnern, daß wir während unserer Krankheit von einer
Hülfs-Commißion welche errichtet wurde, durch die Fürsprache unserer
Gerichtspersonen, von den Cirurgum Hl: Erichsonen zu Bischofswerda, welcher für
die hiesige Gegend verordnet war, unentgeldlich mit Medicamenten versorget, und
von Hl: Erichsonen öfters besucht wurden; Auch erhielten wir aus eben dieser
Casse, mehrere Male etwas gebaknes Obst zur Erqvik-
Zeitr: 6.
ung, auch etwas Brod und andere Lebensmittel, welches ich noch jezt als
eine Wohlthat erkenne, und mit Dank erinnere; Nach und nach wurden wir wieder
hergestellt, und meine Kräfte stellten sich wieder ein, doch blieb mir eine
Geschwulst am Füssen biß in die Mitte des Sommers übrig.
War das vorige Jahr ein Jahr der Angst und des Schrekens gewesen, so war das
jezige 1814te ein Jahr des Mangels, der
Armseligkeit, und des Kummers, so wie auch des Drucks und der Schinderey; Die
Menschheit schien gleichsam die Ideen der raubbegierigen Kriegsschaaren
angenommen zu haben; Unbarmherzig wolte ein jeder, wer nur Gelegenheit hatte,
dasjenige was ihm der Krieg geraubt, von seinen Mitmenschen wieder erobern, und
es gab damals wirklich Kunst zu leben.
Ich und meine Leute hatten mit Mangel aller Art zu kämpfen: Ein Jahr beynahe war
so hingegangen da nichts verdient worden war, alle Lebensmittel genomen, alles
hatten wir zugesezt, und Schulden gemacht; mühsam und kümmerlich bestellten wir
unser wöniges Feld, es fehlte an Saamen; Ich nahm mir vor etwas Gerste hierzu zu
betteln, ich nahm meine Richtung nach Grosröhrsdorf, schon beim
Zeitr: 6.
dritten Bauer erwischte mich der Bettelvogt, ein roher prutaler Kerl, welcher
mich mit den grösten Grobheiten und Mißhandlungen zum Dorfe hinaus trieb, so
sehr mich diese Behandlung schmerzte gab ich doch meinen Vorsaz nicht auf, ging
noch auf etliche andere Dörfer, blieb übernacht aussen, den andern Tag brachte
ich 3. Mezen?
Gerste zusammen, überdrüßig der
stumpfen Abweisungen bey grossen Bauern, wo ich öfters grosse Haufen Gerste
denen Hünnern vorgeschüttet sahe, ging ich nach Hause, biß zum liegenbleiben
müde erreichte ich mit meinen 3. Mezen gegen Abend meine Wohnung, des folgenden
Tages seete ich selbe, und gewann von dieser Saat zur Ernde über ein halb
Schok,?
woraus wir 2. Scheffel?
Gerste droschen. so belohnte
mir der Himmel meine mühsame Saamen Samelung.
(Getreide-)Raummaß; 1 Metze = 1/16 Scheffel; ca. 6,5 l |
Schock: Ein Haufen Heu oder Stroh; 1 Schock = 12 Ztr. |
1 Scheffel = ca. 104 l |
Es mangelte an Fütterung vor die Kuh. Es war ein sehr später Frühling, die Fröste
hielten biß in die Mitte des Meyes an: Meine Frau versuchte etwas erfrohrne
Heide im Walde zu holen, wurde aber von der Försterey ohne Barmherzigkeit
gepfändet, doch kam sie mit dem Pfandgelde weg.
Zeitraum 6.
Desgleichen ward ich wegen einer Stange, welche ich vorigen Herbst als mir die
Soldaten alles Holz verbrannt im Walde geholt, zur Forststrafe nach Stolpen
citiret, es war in meinen Leben das erste Mal, ich glaubte zwar daß man unter
diesen Umständen nicht mit mir verfahren würde und könnte; Allein hier fand ich
nicht den Ort der Billigkeit und Menschlicher Barmherzigkeit: Der ganze Vorgang
war mir zu auffallend daß ich dir denselben in etwas erzehlen muß: Es war den
21ten
May da diese Excution?
vorging, bey meiner Hinkunft nach Stolpen
fand ich das Amtshaus von Mitgenossen
meines Schiksaals belagert; Es waren ihrer eine große Menge aus den ganzen
Forstamt weit und breit beysammen, ich hörte wie ein jeder über Unbilligkeit und
Härte klagte; Dagegen war bey denen Forstbedienten dieser Tag ein hohes
Freudenfest: Alle Heegereuter,?
Oberförster, Förster, Fußknechte,?
erschienen in Galla, und ein jeder nach den
Stande seiner Erhöhung, mit grossen breiten theils mit goldnen, theils mit
silbernen, oder auch mit schwarzledernen Achselbänden;
sie schienen dieser heiligen Handlung hierdurch ein
Exekution: Gerichtliche Pfändung |
Förster höheren Ranges |
Gehilfen des Försters |
; ergänzt |
Zeitr: 6.
Ansehen und Gewicht geben zu wollen, oder ob sie es denen armen Leuten
zur Freude thaten kann ich nicht bestimmen, kurz in der Amtsstube stellten sie
sich nach der Ordnung in einen bogenförmigen Creieß: Sie schienen, nach dem wir
nach langen Warten vorgelassen wurden darzu bestimt zu sein: Die Unglüklichen,
welche etwann bitten oder sich mit Worten legitemiren wolten, auszulachen - So:
Unbarmherzige Gnaden saßen in der Mitte an einem Tische, und tictirten die
Strafe und Kosten, und hinter selbigen Ihro grobe Hochedlen und nahmen Geld, und
hunzten die armen welche nicht gleich bezahlen konnten, fürchterlich an - - Es
kostete mich 2. rtl. 5. Gl.
2 Thaler 5
Groschen
konnte auch nicht gleich bezahlen, mit Ungestüm überhäuft
durfte ich die Stube verlassen, um das löbliche Werk nicht aufzuhalten - - Was
ich hierbey fühlete kanst du Mein Freund von selbst schliessen. - Ich verließ
diese Gesellschaft und den Ort mit Abscheu, und wankte langsam nach hause, weil
mir meine geschwollne Füsse sehr wehe thaten.oberer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Wie grausam, wie unerhört! Seufzete ich unterwegens; Hat den der Unterthan gar
keinen Werth mehr? Will man uns den ganz verdilgen? Verdient
Zeitr: 6.
auch ein Hund Strafe wenn er vor Hunger gedrieben eine troken
Brodrinde nascht? War es solche große Sünde, daß ich mir unter den damaligen
Umständen einen Schiebbokvoll Holz im königl: Walde holte? Wönigstens beist mich
mein Gewissen nicht hierüber; Waren wir nicht den schreklichsten Uebeln Preiß
gegeben? Wo waren unsere Beschüzer, unsere Beherscher, und diese Geldgierigen
Richter, als gierige Raubvögel uns biß aufs Gerippe entfleischten? Sie waren
geflohen, waren zu schwach sich selbst zu schüzen, niemand wollte und konnte uns
mehr vertheitigen! Nach überstandener Gefahr haben sie sich wieder eingestellt,
ihren Bosten wieder eingenommen, mit stolzer Miene machen sie nun Jagt auf uns
elenden, wehrlosen; trozig und hohnlachend verachtet man unsern Versuch zu
Bitten und Entschuldigungen, man dreuet mit Excution und Gefängnis - - Doch es
wird Mittel geben, sich künftig vor euch zu hüten, in eure Mitte sollt ihr mich
nicht mehr kriegen, immerhin küzelt euch mit diesen Blutgeld - - doch
genung.
Die russischen Truppen welche in denen Monaten vor der Ernde zurük kahmen machten
uns einige Un-
Zeitr: 6.
ruhe, doch wurden viele Lebensmittel geliefert, wenn wir Einqartirung
hatten.
Daß was unsere Mühseeligkeit erleichterte war die Ruhe welche wir nun wieder
genoßen, und die frohe Hoffnung besserer Zukunft; Mit Ruhe konnten wir uns zu
Bette legen, und die aufgehende Sonne kündigte uns nicht mit jedem Morgen neue
Angst und Schreken an wie vorn Jahre; Anstatt die Strassen und Wege mit
bleßirten und verlaufenen Soldaten wimmelten, paßirten jezt mit ruhigen Gemüth
Reisende und Handwerkspursche welche ihr Volksliedgen sungen; - Anstatt
kriegerischen Fuhrwesens und Geschüz, Posten und Frachtwagen, Reiter ohne Säbel
und Piken?
; Anstatt Kollonnen
marschirender Truppen, treibende Viehheerden.
Anstatt der Läger und Baraken, beseete Fluren und Heuschöber. Man band wieder
Garben und erndete. Die Commercien fingen wieder an aufzuleben; Und glüklich
fühlte ich mich daß ich noch in und bey dem Meinigen war.
Pike: Lanze |
Nach der Ernde ward mein Schiksaal etwas leichter zumal da wir dieß Jahr schöne
Erdbirnen, auch etwas Obst gewannen. Ich machte Rechnung
Zeitr: 6.
den Winter über etwas von unsern Schulden abzustossen, würde auch
meinem Plane nach im Frühling 1815. zustande gekommen seyn, wenn nicht ein
hämisches Schiksaal mir einen grossen Strich durch meine Rechnung gemacht hätte:
Es war den 13ten
Maerz als meine Kuh, mein einziges Stük Vieh in meiner
Haußhaltung eine Kränklichkeit spühren ließ; Wiewohl es Anfangs nicht
gefährlich schien so muste ich selbige doch den 17ten erstechen lassen. Bey der Ausschlachtung zeigte sich: Daß eine
Verstopfung worzu der Brand geschlagen, die Ursache dieses fatalen Zufalls
gewesen war. Ob ich nun schon
Fleisch, Inselt,?
und Haut ins
Geld sezte, war der Schade doch bedrächtlich da die Kalbezeit biß auf 14. Tage
kommen war, so war die Hoffnung auf die Benuzung, mit samt den Kalbe auf einmal
dahin.
Aus Hauß [Zeilenwechsel] haltung korrigiert |
Aus Fleich korrigiert |
Fett, Talg |
Dieser Zufall war mir auch besonders schmerzhaft deswegen, weil ich dieses Thier
unter so vielen Sorgen und Kummer den Krieg durch erhalten hatte; und selbiges
mir besonders lieb war; Zudem war dieses Thier gewissermaaßen unser Ernährer,
und beste Stüze unser kleinen Häußlichen Wirthschafft.
Zeitr: 6.
Um diese Zeit entstand auch aufs neue ein Kriegs-Geschrey; Alle Soldaten von ganz
Europa marschirten wieder nach Frankreich, weil der Friedestörer Napoleon den
französchen Trohn wieder eingenommen hatte, und so war die Hoffnung zu endlicher
Ueberwindung aller Noth und Mühseeligkeit vereitelt. Die Russischen Truppen
welche durch Sachsen gingen machten durch Einqartirungen viele Unruhe und Plak.
Doch ward dieser neue Krieg in Kurzen beendiget, und die Russen kehrten noch vor
Ende des Jahres in ihre Heymat zurük.
Mein Freund! jezt hatte ich das Ende eines Krieges erlebt, welcher im ganzen
bedrachtet, so merkwürdig, schreklich, verderblich, als sonderbar war; Beynahe
30. Jahr hat er fast in der ganzen Welt gewüthet, viele Milionen Menschen
gemordet und unglüklich gemacht, viele Länder verwüstet und Arm gemacht; und
noch vor wönig Jahren konnte den Ausgang desselben noch niemand absehen, welcher
nun auf eine ganz unerwartete Art geschahe; Glüklich preise ich mich, und meine
Zeitgenossen, denselben erlebt zu haben, und wönigstens scheint der Friede auf
lange Jahre gesichert zu seyn.
Im allgemeinen stellten sich nun aber auch die
Zeitr: 6.
Nachwehen ein. Stokung und Sperrung alles Handels und Gewerbes; Mangel
an Arbeit und Geld, fast täglich neue Contributionen?
und Abgaben, welche nicht zu erschwingen waren. Hiebey
blieben noch als ortendliche Steuern vom Monat Mærz
1813. biß Ende 1814. so wie auch ungeheure Extran Contributionen in Reste
stehen. Dieß machte eine ungeheure Summe, zwar wurden wir öfters durch Excution
zur Entrichtung derselben erinnert; Allein es wurde immer die Unmögligkeit
vorgeschüzt, wie es den wirklich an dem war. Allgemein glaubte man aber, daß
dieser zusammen gehäufte Rest, wo nicht ganz, doch ein grosser Theil davon uns
erlassen werden müste; Allein hier ging es eben so wie bey der Forststrafe in
Stolpen. -
Steuern |
Es war im Monat Januar 1815. als eine Untersuchung wegen der rükständigen
Steuerreste an hiesiger Gerichtsstelle, durch einen darzu verordneten Commißar,
mit Zuziehung der hiesigen Herrschafft und Gerichtshalters, so wie auch derer
Dorfgerichten, gehalten wurde. Jeder Unterthan, sollte hiebey auf einen Zettel
seinen Kriegsverlust gewissenhaft angeben. Ich verhofte eine billige
Zeitr: 6.
Einsicht: Auf einen Zettel, ganz kurz gefaßt, sollte mein Sohn als
Wirth unsern Kriegsverlust angeben: Allein es hatte ihn niemand darnach gefragt.
Etwas Spottreden, mit der wohlgemeinten Resolution: Da er ein Schneider sey,
könne er seinen Verdienst nach Gefallen erhöhen, mithin die Paar Groschen
Steuern nachgeben; War alles, was er mir nach einen halben Tag
versäumniß zur erfreulichen Nachricht mitbrachte. - - Sage mir nun mein Freund, Um
was soll ich und meine Leute für unsere Beherscher am mehresten beten? Um Glük
und langes Leben? Oder, Um Weißheit u. Verstandt? -
Aus versämniß korrigiert |
Nun ging es an ein contribuiren.?
O wie waren wir gedeuscht! Anstatt daß wir verhoften
einige Jahre, oder doch
wönigstens so lange biß wir uns wieder erholt, Gabenfrey, zu seyn, trieb man uns
durch Excution, alle rükständige Steuerreste und Contributionen auf Ein Bret
nachzuzahlen; Daß dieß unmöglich war, wird ein jeder Vernünftiger von selbst
schliessen können; Durch bitten und Vorstellungen kam es so weit, daß wir es
nach und nach auf jeden Monat mit entrichten durften. Noch zu Ende des Jahres
1818. (eben als ich dieses schreibe;) waren wir noch nicht ganz fertig, wie-
Steuern entrichten |
Aus wönigstes korrigiert |
Zeitr: 6.
wohl wir auf unsere kleine Wirthschafft welche bloß aus 1. Schfl. Feld,?
und etwas Großegarten besteht, seit die Plünderungen und Verwüstungen aufgehört,
gegen 40. Thl.,?
bloß Schok und Qatember?
Steuern bezahlt hatten. Die Extraen Contributionen:
Als auf die Schäzung (welches eine ganz neue Methode zu erheben war, weil in
derselben der arme Tagelöhner höher angesehen wurde als der Bauer.) Aufs
Handwerk, doppelte Personen-Steuer, und was alles das war, noch nicht mit
gerechnet; Unter währender Zeit war immer wegen Mißwachs und schlechter Ernde,
da das Gedreyde 2. Jahre hinter einander wegen anhaltenden Regen, auf den Felde
auswuchs und verdarb, Theure-Zeit, daß der Schfl. Korn 7. biß 8. Thl. galt, und wir dahero toppelt unglüklich.
Ueberdieß muste noch ein Kapital von 600. Thl:
gegen Verzinsung von der Gemeine aufgenommen werden, um eine Contribution,
welche von der damaligen provisorischen Regierung vom Lande als Anleihe
presentiret wurde, zu tilgen, da die Gemeine es aus eigenen Mitteln nicht im
Stande war; Welches Kapital vielleicht noch lange Jahre stehen wird.
1 Scheffel = 0,5 Acker = 2.767,10 m2 |
Taler |
quatember: vierteljährlich |
Zeitraum 6.
Was meine eigene Umstände anbedrift muß ich sagen: Daß selbige seit den Jahre
1813. eben nicht gelüklich waren; Ob ich schon von meiner Krankheit nach langen
Siechen wieder hergestellt ward, so daß ich meine Kräfte wieder erlangt hatte,
so wurde doch das folgende 1815.te meine
Brustmaladie sehr heftig so daß ich keine ortendliche Arbeit verrichten konnte,
und dieß ist auch bißher immer schlechter geworden, meine Kräfte sind nach und
nach fast ganz verschwunden, so daß ich auch die geringste Anstrengung vermeiden
muß, fast bin ich nicht mehr im Stande eine Treppe, oder einen Berg zu steigen,
wiewohl ich außer Husten und schweren Oden keine Krankheit angeben kann, und
Essen und Trinken mir vordreflich schmekt, so scheint mir doch der Genuß
derselben nicht zu gute zu kommen.
Noch ein Paar Jahre nach den Kriege drieb ich die Weberey, wiewohl sehr mühsam,
da ich mich nicht anstrengen konnte, und die Ketten und Garne 2. Stunden weit
holen muste; Im Jahre 1817. hörte es aber ganz auf, da wegen der neuen
Einrichtung der Dinge, in Sachsen der Grenzscheidung die Comerzien ganz gehemmt
wurden, hierzu kam noch eine Theuerung in allen Producten, hauptsächlich Brod
und Holz, diese beiden
Zeitraum 6.
Articel machten mir in meiner Haußhaltung bey der Entrichtung der
schweren Abgaben viel zu schaffen. Hierzu kam noch daß ich zweymal Winters Zeit
in langes Siechthum gerieth, und mehrere Monate gar nicht arbeiten konnte;
Ueberhaupt war meine Lage wegen Mangel an Arbeit schlecht.
Bey alle dem bin ich aber niemals verzagt gewesen; Eine innere Hoffnung, doch
Einmal über die Wiederwärtigkeiten zu siegen, und bessere Umstände zu erleben,
hat mich immer aufrecht erhalten, und mit meinen Leuten tapfer wieder die
schweren Auflagen gekämpft, und sind immer Sieger geworden; Nie habe ich mich
der Unzufriedenheit, und den Klagen über Truk?
und Leiden, oder unünzen Räisoniren, und unbefugten Tadel,
über allgemeine Auflagen, oder politische Anordnungen überlassen; Vielmehr habe
ich meinen Leuten Trost zu gesprochen, und wenn Einmal eine schwere Post?
gedilget war, gefreuet, daß ichs
im Stande war, wie Einer der einen schweren Prozeß gewonnen; So habe ich mich
mit meiner Frau und Sohn durchgeschlagen; Wiewohl wir allen Nebenaufwand
vermeiden musten.
Druck |
Posten, Summe |
Zeitraum 6.
Doch halt! Noch Eins nicht zu vergessen: Von meinem Vater, welcher im jeden Fach
ein guter Feld Oeconom war hatte ich die Erdjägerey
reinige, als mancher Müssiggänger, der bey vollen Kräften
den sauren Schweiß anderer verschwelgt.
Maulwürfe
in etwas erlernet, seit ungefehr
12. Jahren mache ich Gebrauch darvon, und kam wirklich in Beruff und Contition,
so daß mir ein neuer Nahrungszweig daraus erwuchs, und ich bin etwas stolz
darauf, daß ich dem Puplicum als ein schwächlicher Mann doch mehr nüze wenn ich
das Feld von denen schwarzen unünzen Arbeitern?oberer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Maulwürfen |
Zudem fügte es die Vorsehung, daß mir noch ein ander Bißgen Brod zu theil wurde:
Es war im Frühling 1817. als ein Dienst in der Gemeine ledig wurde; Ich suchte
darum an, und erhielt ihn. Rathe einmal mein Freund was dieses ist?
Vielleicht gar Bettelwächter, wirst du sagen.
Ich) Hasts wirklich errathen; Es muß dirs Jemand gesagt haben?
Du) Janu das Dienstgen möchte wohl sein, aber nur die Benennung ist nicht mit
vieler
Zeitr: 6.
Achtung verbunden.
Ich) Du must mich nicht grade Bettelwächter, oder Bettelvogt nennen; Man kann
auch sagen: Dorfwächter, Gemeindiener, Policey-Knecht, Policey-Wächter,
Policey-Aufseher, Unter-Gentearm, Policey-Inspector,
Du) Na nur sachte sachte
Ich) Nur stille! allen Spaß beyseite: Der Dienst, ob wohl mit vielen
Verdrießlichkeiten und Ungemach verbunden, giebt mir doch ein gewisses, ob wohl
kärgliches Brod. Schon bey nahe 2. Jahr verrichte ich ihn, und die Leibes
Bewegungen welche ich hierbey sowohl bey Tage als Nachts zu machen genöthiget
bin, sind mir eine Art von Hülfe gegen meine Brustmaladie.
Siehe mein Freund! So veränderlich sind die menschlichen Schiksaale: Daß das, was
man zu einer Zeit nicht achtet, zu einer andern zur Wohlthat wird; 10. Jahr
früher würde ich gelacht haben wen man mir den Wächterdienst hätte
recommandiren?
wollen.
empfehlen |
Zeitraum 6
Gegen das Jahr 1819
In kurzen
werde ich mein 56.tes Lebens-Jahr vollenden.
Wiewohl ich glaube einigermaßen über die schwehresten Schiksaale gesiegt zu
haben, zweifle ich doch diese 6.te 10.jährige
Lebens-Periode vollenden zu können: Entkräftet, und von beständigen schweren
Oden geqält, schleiche ich wankent am Stoke einher, schmerzlich vermiße ich die
Vülle meiner Kräfte, mit welchen ich einst die schwehresten Arbeiten
verrichtete, doch eine innere Zufriedenheit ist es, welche mir meine Leiden in
etwas versüßt und erdräglich macht. Ruhe ist das Einzige, was ich suche und
wünsche, Ruhe des Gemüths und der Seele, frey von Sorge und Kummer ist das was
mir unter allen Dingen am angenehmsten ist.oberer Blattrand: Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Die Flöte, mein Lieblings-Instrument, welches mir ehedem so viel Vergnügen
schafte, ruhet jezo ganz, meine Lunge versagt mir den Dienst hier zu; Auch macht
die Harmonie der Töne nicht mehr die angenehme Empfindung auf mein Gehör wie vor
30. Jahren. Die Seele sucht jezo ernsthaftere Dinge.
Zeitraum 6.
Vor mein gröstes Glük rechne ich, daß ich lesen gelernt habe; Ohne dieses würde
ich das elendeste Geschöpf sein: So daß ich am Ende meines Lebens nicht wüste wo
ich eigendlich gewesen, wo ich gelebt, und waß meine Bestimmung als Mensch zum
Grunde gehabt. Ohne das Lesen währe ich nie zum rechten Gebrauch meiner Vernunft
gekommen seyn; die Kräfte der Seele währen mir unbewust geblieben, und meine
Denkunsgskraft würde nie die rechte Richtung erhalten haben. Durch das Lesen
nüzlicher Bücher und Schrifften ist mein ganzes Leben eine Schule gewesen, in
welcher grosse Gelehrte, und erfahren Männer aller Art meine Lehrer gewest,
welche mir ihre Wissenschafften und Kenntniße, ihr zum Theil thäuer erworbene
Erfahrungen, in wohlabgefaßten, Redensarten, und ausgesuchten Ausdrüken, und
Worten mitgetheilt haben. So giebt mir ein philiosophischer Autor, durch
wohluntersuchte Vernunftschlüße und Erfahrungen in Natur und Vernunftlehren,
meinem Begriffen ihre rechte Richtung, und Aufschlüße über Dinge, welche mir
ohne diese verborgen geblieben währen. Helledenkende Deologen der neuen Zeit,
zeigen mir den graden
Zeitraum 6.
schlichten Weg zur Erkänntnis des wahren einigen Gottes, zeigt mir
selbigen in einer Gestalt, wie sie seiner Macht, Gerechtigkeit, Weißheit und
Güte angemessen ist; Nicht nach fanadischen, schwärmerischen Offenbarungen:
Sondern nach denen Offenbahrungen, welche täglich in seiner Schöpfung durch die
immer neubelebende, schöpferische Einwürkung, sich unsern Gemüthe andrängen. So
wie auch Welt und Menschenkenntniße. Der Historicus, führt mich in das grosse
Reich der Weltbegebenheiten, alter und neuer Zeit, hier finde ich Nahrung für
meine Wißbegierde, hier sehe ich den Abstandt der Menschencoltur jener unserer
Vorfahren von den unserer Zeiten: Mit Mitleiden lese ich die Geschichte des
Alterthums, wo man in Einfalt, Aberglauben und Unwissenheit am Wänden tapte; Wo
die Menschheit, gleichsam, als noch in der Kindheit Knabenstreiche vor männliche
Thaten prieß, und wo die Geschichtschreiber ihre Werke und Erzehlungen mit
bloßen Miraculn und Wunderwerken anfülleten. Der Geographist, zeigt mir die
Erdkugel in ihrer Gestalt, und die Lage der Welttheile und Insuln, und die
verschiedenen Meere und Seen, auch Clima und Himmelsstriche auf derselben, So
wie die Beschaffenheit derer Länder und ihrer
Zeitraum 6.
Bewohner. Den grossen Seefahrer, und Weltumsegler begleite ich auf
seinen entfernten, gefährlichen, und cörijösen?
Welt und Seereisen: Ich beobachte ihn, wie er unter so
mancherley Gefahren und Ungemach, 1000. Meilen breite Seen durchirret, zeigt mir
die entferntesten Länder und ihre Bewohner nach ihrer Beschaffenheit; Ich
begleite ihn durch die gefährliche Magelanische
Meerenge, sodann durch das
stille Meer und grosse Südsee
unter unsern Füssen, biß er endlich die ostindischen Insuln
erreicht, doch nicht endlich, den hier ist seine Fahrt nicht
viel über die Helfte. Ein anderer Reisender führt mich balt durch paradiesische
Gegenden, balt durch heiße Sandwüsten, oder über Himmelberührende Schnee
Gebirge, und schildert mir die verschiedenen Ansichten als ob ich sie selbst
sähe. Ein anderer Autor erzählt mir die Gänge menschlicher Schiksaale, balt in
traurigen, balt in lustigen, balt comischen Auftritten, und zeigt mir, wie die
Tugend sich selbst belohnt, hingegen sich das Laster bestraft. Ein Oeconom,
welcher seine vielfäldig erbropten, und zum Theil teuer erkauften Wissenschaften
nicht gern mit seinen Todte will verlohren gehen lassen, theilt mir selbige um
einen geringen Preiß mit, daß ich ohne Mühe Gebrauch davon machen kann.
kuriosen |
Zeitraum 6.
Ein menschenfreundlicher Arzt, theilt mir seine durch vieljährige Praxin
erprobten Kenntniße mit; Beschreibt mir die vielfältigen Theile meines Körpers,
und deren künstliche Zusammenfügung, welche mir ohne dies auf immer verborgen
geblieben währen, in einem teutlichen, und begreiflichen Traktat; Und giebt mir
durch viele Versuche und Oprobationen bestätigte Mittel, theils zur Erhaltung,
theils zur Wiederherstellung der Gesundheit an die Hand.
Der Astrologe, steigt mit mir in das Firmament hinauf zu den Sternen; und zeigt
mir dieselben nach ihrem Unterschiedenen Eigenschafften, Gestalten, und
Bewegungen, und macht mir das ganze Sonnen-Sistem begreiflich: Doch ich breche
ab; Wenn wolte ich fertigwerden wenn ich alles berühren wollte, was man zu
unsern Zeiten durch Bücher profitiren kann.
Die Baumzucht, und Gartenlust, ist vorzüglich auch meine Freude gewesen: Und die
Behauptung, welche Salzmann in seinem Buche über das Menschliche Elend, im 6ten Theile macht: "Daß zu einem glüklichen Leben
ein Gärtgen gehöre, das man selbst bearbeitet", Habe ich vor wahr befunden.?
Salzmann, Christian Gotthilf: Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend, Theil 6. Schmieder, Carlsruhe 1788 |
Zeitr: 6
Dieß ist nun die Erzehlung meiner Schiksaale und Ereigniße biß auf jezigen
Zeitpunct, so wie ich den Zusammenhang derselben aus meinem Gedächtniß
vorgefunden habe. Ob, und wie viel mir die Vorsehung die Kette derselben
verlängern wird, will ich mit Gedult und Bescheidenheit erwarten; Vor jezt aber
will ich meine Augen noch einmal auf die zurükgelegte irdische Wanderschaft
richten:
Welcher Contrast! Welch Gewirre! Zwar nicht von grossen Avanturen, und
Heldenthaten, oder pralenden Dingen; Doch zuweilen Comisch, und sonderbar,
mehrentheils Folgen der Schwachheit und Unerfahrenheit. Wie vielerley
Veränderungen in meinen Zustande und Lage erinnere ich mich? Wie viele Leiden
haben in meiner Seele gewühlt? Wie vielmal habe ich meine Meinungen und Begriffe
verändert? Nur mühsam, nach und nach habe ich mir etwas Kentniße von selbst
eigenen Erfahrungen und Beobachtungen erworben; Ob ich noch jezo so ganz richtig
denke, will ich drum nicht behaupten; Will daher dem Freunde, welcher
Zurükerinnerung.
diese meine simple Erzehlung einer Lesung würdigen wird, bitten, mich
zu pardoniren, wo ich etwa unrichtig geschlossen oder überspannte Meinungen
geheegt.
So stehe ich nun hier, gleich einem Reisenden, welcher gegen Abend das Ziel
seiner Wanderschaft balt erreicht hat, matt, und mit schmerzhaften Füssen, noch
einen Hügel erglimmt hat, sich noch einmal umsieht: Hier erblikt er in blauer
Ferne, die Gebirge, welche er am Morgen rasch, und kraftvoll überstieg; Wo ihm
die angenehme Morgensonne die Gegend in einer ganz angenehmen Gestalt zeigte,
erinnert sich auch wie die Mittagshize ihn matt und schmachtend machte, und wie
Stürme ihn dief beuchten, und fast zu Boden warfen und nun nichts wünscht als
Ruhe.
Gleich als in einen entfernten Traume, erinnere ich mich meiner ersten Jugend,
meiner kindischen Begriffe und Anschläge; Ich erinnere mich, wie mein Vater, um
mich zu einen frommen Menschen zu erziehen, zu sich hinter seinen Weberstuhl
nahm, mir bey der Arbeit den Morgenseegen, und Zehngebothe, und vorzüglich den
Spruch: "Das Blut Jesu Christi
Rükblik.
des Sohnes Gottes macht uns rein von allen unsern Sünden", vorsagte, um
mich beten zu lernen, und wie er mir die ersten Anweisungen zum Schreiben und
Rechnen gab, und wie meine Mutter mich zum ersten Mal in kleinen Catejismo die
große Schrifft lesen ließ: Ich ahntete damals nicht, welche Wohlthat mir
dadurch geschahe. Ich erinnere mich des Umgangs mit ihr, und meinen früh
verstorbenen Geschwister, und wie sie beiderseits mit vielen Leiden und
Schmerzen aus der Welt gingen. Schon bey 50. Jahren ruhen sie, Ihre Asche ist
nicht mehr aufzufinden; Ihre Nahmen sind aus den Gedächtnis des jezt lebenden
Menschen Geschlechts ausgedilgt, nur in den Meinigen stehen sie noch sehr
teutlich aufgezeichnet; Vielleicht balt in Kurzen werde ich aufs Neue mit ihnen
vereiniget. Ich erinnere mich auch: wie schon damals mein Zustandt mit Leiden
durchwebt war, und wie ich in einen schlechten und armseeligen Zustande, mein
2te Lebens Periode anfing.
Aus grobe korrigiert |
Mit Wehmuth erinnere ich mich, wie ich diese folgenden 10. Jahr, als den Frühling
meines Lebens, von allen jugendlichen Lebensfreuden entfernet, einsam
vertrauerte, ohne sie gehörig zur Gründung
Rükblik.
eines glüklichen Lebens in der Zukunft benuzen zu können; Ich fühlte
sehr wohl, daß sich meine Vernunft, und meine Begriffe entwikelten, aber keine
Gelegenheit hatte, selbigen die gehörige richtige Richtung zu geben, eine
heftige Begierde viel zu wissen, viel zu können, wuchs bey mir mit jeden Tage,
ich geizte nach Wissenschaften; so rafte ich den alles zusammen was einer Kunst,
oder Wissenschafft ähnlich war: Ich hielt viel auf Hexerey und Simpatieische
Dinge, welchen ich einen grossen Raum in meinem Kopfe eingab. Ich hatte einsmals
die Schwachheit, daß ich einem liederlichen Kerl 4. Gl. gab, daß er mir eine
geheime Kunst lernte, daß man sich die Liebe einer Weibsperson zuwege bringen
könne.
Das Lesen war hierbey meine Lieblings Neigung, tagelang an Sonn und Feyertagen
saß ich einsam über einen alten Ritterroman, oder einen andern Buche welches
viel übernatürliches enthielt, mit allen Glauben und Beyfall laß ich die
Wunderwerke welche theils durch Gottes absolute Macht, oder den Teufel geschehen
seyn sollten; Höchstwichtig
Rükblik.
waren mir die Geschichte von D. Faust,
Das ganze zeigt von einer Einfalt im
höchsten Grad, und ich rechne die Periode unter allen für die unbenuzeste und
verlohrneste, außer daß ich etwas Handarbeit, und auf den Weberstuhl arbeiten
lernte.
Auch Rüben Zaal
und Herzog von Luxemburg;?Rechter Blattrand: Ergänzung von Johann Christian Teich |
François-Henri de Montmorency-Luxembourg, Herzog von Luxemburg-Piney (1628-1695), französischer Heerführer Ludwigs XIV. Wegen seiner grausamen Kriegserfolge entstand noch zu seinen Lebzeiten das Gerücht, er habe mit dem Teufel ein Bündnis geschlossen. Die Sage vom Herzog von Luxemburg war in Deutschland durch verschiedene Schriften bekannt, u.a. Des Weltberuffenen Hertzogs von Luxenburg, Gewesenen Königl. Frantzösischen Generals und Hof-Marschalls Pacta oder Verbündniß Mit dem Satan Und das darauf erfolgte Erschreckliche Ende [...]. Franckfurth und Leipzig, 1716 |
Nie habe ich meines Vater Hauß wieder bewohnt, als ich es einmal verlassen hatte;
Grosse, merkwürdige Veränderungen sind seit jener Zeit damit vorgegangen, kaum
würde ich den Ort noch kennen, wenn ichs nicht genau wüste: Alles ist
abgestorben, das Hauß und Scheune ist abgebrannt, und neu aufgebaut, alles ist
verändert und umgekehrt, die Obstbäume weg,
ein
einziger Apfelbaum ist noch, welchen ich als einen alten Bekannten noch erblike;
Doch erinnere ich mich noch der Orte wo ich in Gesellschafft meines Vaters die
grösten Arbeiten vornahm, um Verbesserungen zu stiften; Jezt besizen es Fremde
und Unwürdige, und ich bin ein Fremdling daselbst.
, ergänzt |
Ich verließ es ohne zu ahnten welch wichtigen Schritt ich hier that; Ganz roh,
und unvorbereitet, mich
Rükblik.
anständig unter Menschen von jeder Classe zu bedragen: Wie viele
Wiederwertigkeiten, wie vielen Verdruß habe ich hier zu bestehen gehabt, und
zuweilen die beste Sache durch mein Bedragen verdorben.
Ich wurde Soldat. Das heist: Ich kam unter eine Menschenclasse welche in jeden
Bedracht,
die beste nicht ist: Stolz, Prutalität, Pöbelhaftigkeit und Aberwiz, waren
die eigenthümlichen Eigenschaften, welche ich bey Hohen und Niedrigen sahe. Die
alte Sage: Wer bey den Soldaten nicht gescheit wird, wird es nirgends, fand ich
nicht in jeden Fall gegründet: Wenn es auf Ordnung und Reinlichkeit ankömmt,
möchte dieser Spruch schon wahr sein; Kömmt es aber auf Tugent, Sittlichkeit,
und gute Lebensart an, möchte hier die Schule wohl schlecht ausfallen. Und gildt
es Wiz und Verschlagenheit, so wird der welcher schon ein halber Narr ist, hier
zum ganzen gemacht: Dieß habe ich aus eigener Erfahrung.
Aus die die korrigiert |
Diese Periode hätte konnen die glüklichste
Rükblik.
seyn, wenn ich sie zu benuzen gewust hätte, Sorge und Kummer frey
konnte ich sie durchleben, wenn ich die Kunst verstanden hätte. O! könnte ich
sie noch Einmal zurück ruffen, könnte ich sie noch einmal durchleben; wie wollte
ich sie benuzen, mein Gelük besser in acht nehmen, unnüzen Verdruß und
Leidenschafften verachten, welche mir den Grund zu grossen Uebeln legten, und
mir diese schönen Lebens Jahre verbitterten.
Dort in der 4.ten Periode schien meine Glüks-Sonne
etwas heller, aber auch zugleich erwuchs in mir, hie und da ein Aberwiz: Ich
ließ mir einfallen reich zu werden, und unter die grösten Torheiten, gehört
vorzüglich: Daß ich mir vornahm, in Verein mit einer Anzahl schlechter?
Einwohner, durch Streitsache,
Ritter?
an unsern Dorfgerichten
zu werden: Ein teutlicher Beweiß: Wie weit ich damals vom richtigen Denken und
Handeln noch entfernt war.
d.h. schlichter |
Richter? |
. ergänzt |
Daß ich aber hie und da von einen Manne, mit dem ich damals in engen Verein
lebte, nicht die beste Schilderung gemacht, wirst Du mir verzeihen; Da ich
Ursachen dazu habe.
Unglüklicher hingegen war die folgende 5te.
Rükblik.
in welcher mir alle grosse Pläne und Einbildungen vereitelt wurden; Es
folgte immer Ein Unfall, auf den andern, Eine Wiederwärdigkeit auf die andre.
Doch war mir dieser Zeitraum gewissermaßen auch der glüklichste: Hier war es wo
meine Vernunft anfing ihre Rechte zu behaupten, das heist: Ich fing an gesunde
Vernunft zu studiren; Es ging mir ein neu groß Liicht in meiner Seele auf, und
die Gottheit zeigte sich mir in einer ganz andern Gestalt als ich von Jugend auf
war gelehrt worden und Warheiten drängten sich mir an welche eine gänzliche
Umschaffung in meinen Ideen bewirkten, Und ich besiegte den Aberglauben. Zwar
waren Hexen und Gespenster schon lange aus meinen Grundsäzen verdilgt, doch war
ich immernoch ein Glaubens-Held, und ich würde es aufs höchste aufgenommen
haben, wenn mir Jemand das heilige Stekenfperdt, worauf ich mit aller Zuversicht
dereinst in den Himmel reiten wollte, hätte andasten wollen. Aber auf einmal
brach dieses, und zugleich mit ihm stürzte das alte ehrwürdige Gebäude
welches mir und ihm bisher Schuz
de ergänzt |
Rükblik.
und Aufendhalt gab. Und was waren die Trümmer desselben? Gräuel und
Unsinn! Nicht erschaffen vom Schöpfer, bloß von Menschlicher verirreter Vernunft
hervor gebracht. Zwey Ungeheuer, grausam, und schreklich, gingen aus denselben
hervor: Aberglaube, mit seiner Königin: Religions-Zwang. Ihre Hofstadt und
Gefolge war Verfolgung, Kerker, Folterbänke, Schwerd und Scheiterhaufen; Ihr
Geschäft war: Menschen-Haß, Verfolgung, Grausamkeiten, und schrekliches
Blutvergiessen zu stiften; Menschen, durch Menschen zu verdilgen; Finsterniß zu
verbreiten; Der Vernunft alles Licht zu verstopfen, und am Gängelbande des
Unsinns zu leiten. und Stolz erweiterten sie ihre Macht biß jenseit des
Grabes.
Ich wünschte Mein Freund, mich frey über diese Materie erklären zu können; Allein
ich fürchte das Urtheil, welches einst das Costnizer Conzilium über Johann Hußen
aussprach;?
Und es würde noch heilige Einfalt
genung geben: Welche Holz und Stroh zudrägen - - - -
Johann Hussen (bzw. Jan Hus), tschechischer Reformator, wurde in Konstanz (Kostnitz) im Jahre 1415 als Ketzer verbrannt. Zu Lebzeiten des Verfassers u.a. bekannt durch Cochläus, Johann: Geschichte von M. Johann Hussen, vom Anfange seiner Sekte bis zum Ende seines Lebens, aus Originalurkunden beschrieben. O.O., 1785 |
Rükblik.
Doch so viel kann ich sagen: Daß ich mich seit dieser Umwälzung der Meinungen, in
meinen Geistigen Zustande ganz glüklich fühle; Ich fühle es welch Glük es ist
Mensch zu seyn, und Vernunft zu haben, und zu wissen: Daß ich Gottes
Lieblings-Geschöpf bin. Frey stehe ich nun hier in seiner schönen Schöpfung; Ich
verehre eine Gottheit, welche hoch über alle menschliche Begriffe erhaben ist:
Welche mein Verstand so wönig fassen, als meine Zunge auszusprechen vermag, Die
aber Weise und Gerecht ist! Für mich brennt keine Hölle; Kein unbarmherziger,
unerbittlicher Richter, welcher auch zugleich Ankläger ist, wartet meiner
jenseit des Grabes: Ich werde fortdauern, fortleben nach meiner Entleibung;
werde eine Seeligkeit geniessen, je nachdem ich hier fähig geworden bin selbige
zu geniessen; Mit Freuden erwarte ich meine Auflösung, sie komme heut oder
Morgen meine Sache ist entschieden. Das Thier darf nicht mehr sagen: Ich, ich
bin gelüklicher als du Mensch: Auf mich wartet kein
Rükblik.
Richter, keine Hölle, keine Verdammniß.
So eben erwarb ich mir in diesen Zeitraum die Begriffe von der Geographie, von
der Beschaffenheit der Erdkugel, und der mathematischen Einteilung derselben;
Und von der Lage der vornehmsten Welt-Theile und Insuln derselben, und von der
verschiedenen Gestalt, Farbe, und Sitten, derer Bewohner desselben, so wie der
verschiedenen Himmelsstriche, Fruchtbarkeit, und Producte derselben.
Auch faßte ich die gründlichsten Begriffe von der neuen Astrologie: Wie
unendlich die Erde, in einer gewissen Bahn, in der Reihe der Planeten sich um die
stille stehende Sonne bewegt, und durch ihre Jährliche Umwälzung um dieselbe die
Vier Jahrszeiten verursacht, so wie durch die tägliche Umdrehung, die
Abwechselung von Tag und Nacht. Auch von der scheinbaren, und ortendlichen
Bewegungen derer Planeten, und von der Größe, Beschaffenheit, und Gestalt
derselben: Sowohl nach den Tichonischen,?
als Copernikanischen Sonnen, und Weltsistem.
Aus unenlich korrigiert |
nach Tycho Brahe |
Auch erlernete ich noch späterhin die Sonnenuhr-
Rükblik.
Kunst, und ferdigte schon in der Zeit nach dem Kriege einen steinern
Sonnenzeiger, welcher zwey überort auf einandergesezte Würfel vorstellt, wovon
Acht Flächen, alle mit viel oder wönig abweichenden Sonnenuhren gezeichnet, und
oben
darauf eine liegende Horizontaluhr. Das Ganze zeigt in seiner Bearbeitung zwar
kein Meisterstük, weil ich weder ein Steinmezger, noch ein Mahler bin, Doch
Jeder Kenner der Sonnenuhr-Kunst, wird es mir vor ein Kunststük gelden lassen;
Und ich fordere einen auf, der im Stande ist die Verzeichnungen, und die
Richtung derer Zeiger zu erklären.
Aus daraf korrigiert |
Auch ferdigte ich mir eine Sonnen-Taschenuhr ohne Kompaß und Magnetnadel, Es ist
meine eigene Erfindung, wönigstens habe ich keine Anweisung hierzu in Keinen
Buche gefunden; ob nun gleich der erste Versuch nicht gerieth, so ruhete ich
doch nicht eher biß ich sie zur Vollkommenheit brachte.
Diese Wissenschafften machten mir Viel Vergnügen und ich ruhete nicht eher biß
ich sie alle vollkommen inne hatte. Du must haben Zeit darzu gehabt? wirst du
vielleicht denken mein Freund; Janu zu was man Lust hat, ist immer ein Bißgen
Zeit übrig.
Rükblik.
Nun bin ich unter vielen Leiden und Trübsaal biß in die Helfte der 6ten Periode
vorgerükt, und ich muß ausruffen: Biß hierher hat der Herr geholfen!
Viel und grosse Ereignisse habe ich in meinem Lebens Jahren erlebt: Grosse
Theuerungen, Auch sehr gute und wohlfeile Zeit; Biß im höchsten Grad blühender
Handel, besonders in Garn und Leinwand, da das Geld so gemein ward daß es fast
keinen Werth mehr hatte, Jeder fast, drug seine Taschen-Uhr; Die grosse
französche Revolution, und den daraus entstandenen schreklichen Krieg durch ganz
Europa; Die grossen Thaten und Erhebung, so wie auch der Sturz des Napoleon; den
Sturz und wiedererhebung der Preußischen Monarchie, Das traurige Schiksaal
Sachsens, die Erscheinung grosser, und fremder Kriegsheere, in unsern
Vaterlande, die Aufhebung der teutschen alten Reichsverfaßung; Die gänzliche
Verschwindung alles Handels, und aller Nahrungszweige, und grosser Mangel an
Geld, auch die gänzliche Niederlage derer Fabriken, und Manufacturen, und
hierbey schwehre Abgaben, und Truk aller Art.
Rükblik.
Nun ists wohl Zeit daß ich schliesse mein Freund? Bist wohl des Geschwäzes balt
überdrüßig? Noch eine kleine Gedult; Nur etwas noch über den Zeitgeist in meinen
durchlebten halben Seculo:?
Sonderbar ist die Umschaffung, und Erscheinung desselben in meinen lezten
Jahren, gegen den, in meiner Ersten Lebenshelfte; Ich bin nicht gelehrt genung,
und zu kurzsichtig eine vollkommene Ansicht derselben zu schildern, der Abstandt
ist zu groß welchen der jezige Zeitgeist gegen den in meiner ersten Jugend
machet, so daß man glauben sollte man sey unter eine ganz ander Nation, oder
Menschenrace versezt worden, wenn man nicht selbst diese Umwälzungen von Zeit zu
Zeit mit angesehen, zum Theil auch mitgemacht, und ihren Einfluß auf die
Umschaffung derer Meinungen, Gewohnheiten, und Lieblingsneigungen zugleich mit
angenommen hätte.
Jahrhundert |
Die Menschheit liebt continuirliche Veränderungen und Umschaffungen in ihren
Zustande, und dies geht vom höchsten Stande, biß zur niedrichsten ärmsten
Familie; und man scheint sich gleichsam hierdurch etwas zu Gute zu thun, das
heist: Die Mühsälichkeiten etwas erdräglich zu machen. Nur der mürrische starr
und Eygensinn macht hierinne eine Ausnahme: Er will schlechterdings bey seinem
Ueberblik.
Alten bleiben, und unterhält ein ewiges Gezänk mit seinen Zeitgenoßen;
Dahingegen der eitle Stuzer
und Mädgen sich alle Tage was neues wünscht.
Aus und [Zeilenwechsel] und korrigiert |
Jeder Zeitraum hat seine guten, aber auch seine schlechten Eigenheiten; Und ich
gedraue mir nicht zu behaupten: Ob der Zeitgeist im ganzen genommen, in unsern
jezigen Tagen einige Vorzüge vor den vor 50. Jahren hat? Oder ob jener noch
diesen vorzuziehen ist? Wenn es auf Herzengüte, und Unverdorbenheit derer
Neigungen ankömmt, möchte wohl jener einen grossen Vorzug haben; Ein gewisser
Frommsinn, und Redlichkeit, machten den eigenthümlichen Caracter unser Väter und
Großväter aus. Genüglichkeit, Zufriedenheit, Nachbarliche Eintracht, Treue und
Ehrlichkeit, waren ihre Eigenschafften. Dahingegen der jezige Zeitgeist in Wiz
und Verschlagenheit, Fleiß und Thätigkeit, gute Wirthlichkeit und
Verbesserungstrieb vor jenen, viel voraus hat; Und Geiz, Neid, Gehäßigkeit, und
Dieberey, hat sich an die Stelle derer guten Eigenschaften gesezt: jeder will
den andern an Eroberung überdreffen. Hingegen, sind Künste und Wissenschafften
zu unsern Zeiten sehr hoch gedrieben, und man bemüht sich selbige noch höher zu
dreiben, und neue nüzliche Erfindungen zu machen, und
Uebersicht.
wird hierdurch im Ganzen viel Gutes gestiftet: Man unternimmt
ungeheuere Arbeiten, und führet Dinge aus, welche unsere Väter vor unmöglich
gehalten haben würden, durch welche den Staadte grosser Nuzen zubereitet wird;
Hat also der neue Zeitgeist vor den alten hierinne viel Vorzüge.
Eine verdorbene Hauptseite des jezigen Zeitgeistes, ist die freche und
unschamhafte Annäherung der Jugend beyderley Geschlechts; Anstatt ehemals die
Jugend sehr an sich haltend und furchtsam im diesen Punct war, und es vor eine
grosse Schande und Unglük hielten: Unehelich fruchtbar zu werden, ist die jezige
ganz ausgelassen und frech; Man lebt nach den Reguln der Natur: Man redet von
jeder Sache natürlich, man benuzt sich gegen seits natürlich. Jedes Mädgen
erblikt daher schon in frühen Jahren die Frucht ihres Leibes, ohne einen Mann zu
haben; diese sind den mehrentheils unglükliche Opfer ihrer Ausschweifungen, zum
grösten Gram und Kummer der Eltern: Was würden unsere Großmütter sagen wenn sie
ihre Töchter, im lokern Gewande, mit der lüßternen Miene derer Koquetten und
Freudenmädgen, und fast jede ein Kind auf den Armen, umhergehen sähen? Ich
glaube daß diese Methode, durch die Bayerischen Speciesthaler, welche nach den
Einjährigen Kriege?
zum Einjährigen Krieg siehe Anm. zur Seite 18 |
Uebersicht.
zu uns kamen, so in Nachahmung, und Aufnahme gekommen, weil auf
denselben eine eben solche Figur, und zwar mit einen Heiligenschein umgeben,
geprächt ist.?
Bayerischer Speziestaler (”Madonnentaler”), 1773 |
Haupt sonderbar äußert sich aber der Zeitgeist in Unterscheid der Kleydermoden;
Ganz Einfach und schlicht gingen unsere Väter und Mütter vor 50. Jahren, in
ihren von wohlfeilen diken Tuch oder Leinwand geschnittenen Kleydern einher,
wiewohl auch hie und da eine kleine Eitelkeit herrschte. Dagegen glaubt man
jezt, in Gesellschaften auf den Dorfe, ein Gemisch von adelichen Junkern, und
Baronen, eitlen Stuzern und Jagdpagen, Tanz und Fechtmeistern, Komödianten und
Harleqins zu sehen; Und Einer der vor 50. Jahren hier gelebt, würde sichs nicht
bereden können: Daß dies Nachkömmlinge von ihm und seinen Nachbarn wären;
Versezte man ihn volends in eine Stadt, so würde er glauben, sich in
Griechenland oder Persien, oder wohl gar bey den Chienesern sich zu befinden.
Und das liebe schöne Geschlecht das Frauenzimmer! Was würden unsere Mütter
sagen? Welche ihre Leiber als Geheimniße sorgfältig verwahrten und einpakten,
ihre Töchter so loker, und in einen Anzuge und Geschmeide erblikten, welches zu
ihren Zeiten der gnädgen Frau vor ihre Fräuleins zu eitel war; Ich meine: Was
würden sie sagen wenn sie sähen daß statt ihrer tüch-
Ueberblik.
tigen vor Kälte und Wetter schüzenden Kleydung, ihre Töchter im
leichten luftigen bundgemahlten Gewand umher spielen, gleichsam in der Gestalt
wie sie die geflügelten himmlischen Frohngeister, wie selbige damals in der
Kirche gemahlt waren, wenn selbige durch die Lüfte herab geschwebt kamen,
gesehen und kennen gelernt hatten: O! Würden sie ausruffen: Unsere Töchter sind
bey lebendigen Leibe in Engel verwandelt worden.
Doch Spaß beyseite: Auch dieser Umstandt hat seine guten und schlimmen Seiten;
Daß man sich jezt öfters neu zu kleiden genöthiget ist, ist gut: Hierdurch
kommen die vielerley Zeuche?
in Abgang, und viele Menschen welche mit Fertigung derselben beschäftiget seyn,
finden ihr Brod; Das Geld kömmt in Umdrieb; Und manche faule Person, welche sich
sonst der Trägheit überließ, spinnt und arbeitet immer fleißig, um sich ein
schön Ding anschaffen zu können: Dieß ist die gute Seite.
Zeug: Tuchstoff |
Daß man aber immer Eine der Andern an Koquetterie und
Eitelkeit nichts zuvor lassen will, und dahero mange arme Dienstmagt ihren ganzen
Verdienst drauf verwendet, daß sie, wenn sie je einen Mann an sich bringt,
selbigen weiter nichts mit bringt, als einen Haufen schöne Hauben, und bunte
leichte Lümpgen.
Aus Eitekeit korrigiert |
Ueberblik.
Noch etwas von den Haaren: Vor 50. Jahren und noch später, war der Städter stolz,
auf seinen mit
Pomade und Puder eingepökelten Kopf, oder nach Beschaffenheit auf eine Perüge
mit schwarzen Beutel, oder langen Zopf; So wie auch das Frauenzimmer, auf seinem
von Werck?
oder
Pfoken?
aufgebauten hohen Thurm, und daran hängenden grossen
Loken, wenn selbige ihre Schönheit recht erheben wollten. Unterdessen der
Dorfbewohner seine biß auf die Schulter reichenden langen Haare in grossen Werth
hielt. Nie hätte der Landsherr leichter eine Rebellion verursachen können, als
wenn er damals befohlen: Daß ein jeder, und eine jede, Manns und Weibs-Personen,
ohne Unterscheid, sich die Haare abscheeren sollte. Und doch ist wieder alle
Erwartung diese Methode, schon seit mehrern Jahren in Aufnahme kommen: So sehr
man sich auch darwieder gesträubet hat; Und mancher der ehemals vor 10. Ducaten
seine Haare nicht hergegeben hatte, trägt jezt mit vielen Behagen einen
Kahlkopf. So würket der Zeitgeist auf die Gesinnungen der Menschen. Und nun
erkennt man erst, daß es eine grosse Wohlthat ist, welche der jezige Zeitgeist
hierdurch
Aus Pamode korrigiert |
Werg: Flachs oder Hanf |
Focke, Focken (m): Klümpchen (z.B. Haare, Brot) |
Ueberblik.
herbey geführet hat. Nicht nur der Beqvemlichkeit zu gedenken, welche
man hiermit genießt, sind auch hierdurch eine Menge Unannehmlichkeiten, und
Krankheiten ganz verdilgt worden: Wer erinnert sich nicht noch: Wie der Kopf
eines jeden Kindes, von Ungeziefer wimmelte, welches auch ihr Reich biß in die
nahe gelegenen Kleyder erweiterte; Und hierbey schwürigen, Eiterigen, Ekelhaften
Grindköpfe!?
- Selbst erwachsene Personen,
konnten ohngeachtet, aller angewanden Mühe, sich nicht ganz von diesen Malheur
befreien: Alles dieß ist durch die Verschneidung der Haare ganz unbekannt
geworden.
Grind: Hautausschlag, zum Teil auch andere Hauterkrankungen, z.B. Krätze |
Noch Etwas fällt mir ein: Was hälst du von den Genuß des Brandeweins und Tabaks?
Nicht wahr mein Freund dieß ist auch eine der schlechten Seiten unsers
Zeit-Alters? Keines unter allen lebendigen Geschöpfen würde jemals darzu zu
gewöhnen seyn, daß es Brande-Wein söfe, oder Rauch oder Schnupftabak genöße: Das
edelste Geschöpf aber, der Mensch, ist mit seinen ortendlichen Genüßen, welche
ihm die Natur zur Erhaltung darbeut, nicht zufrieden, er künstelt sich
angreifende und bedäubende Genüße; Und jedem muß
Ueberblik.
es bekannt seyn, wie die Natur sich anfangs darwieder streubet: Ein
teutlicher Beweiß daß sie für solche Genüße nicht geschaffen ist. Dem
ohngeachtet zwingt man sich, bloß aus Hange zur Betäubung, diese unnatürlichen
Genüße zu wiederholen, und zum Unglük entstehet nach und nach eine Umschaffung
im Geblüdt, so daß man ohne diese Betäubung nicht mehr leben, und nichts mehr
thun kann, und weiter auf nichts seine Sorgen und Absichten richtet. O! wie
viele unglükliche Opfer dieser elenden Leidenschafft habe ich schon verderben
sehen! - -
Der Brandewein ist einer der gefährlichsten Feinde der Menschen, dem ohngeachtet
unterhält man ganz unbesorgt die gröste Freundschafft mit ihm: Man ergözt sich
an seinem betäubenden Feuer, und sezt das Geblüdt auf eine kurze Zeit in eine
brausende Umdreibung, auf welche hernach eine desto grössere Erschlaffung folgt,
und dieß sowohl an Leibes als Seelenkräften, eine Drägheit, und Unfähigkeit zu
jeder Sache mehret sich mit jedem Tag, man sucht sich durch brandewein zu
helfen, und macht das Uebel grösser, endlich geht die Besonnenheit verlohren,
Rükblik.
man ist nicht mehr sein Herr: Man sucht weiter nichts und kennt weiter
kein Vergnügen als Betäubung, zerstört seine gute Vermögens-Umständte, und sein
Glük, vergißt daß er Mensch ist: Und unvermerkt richtet das Feuer des
Brandeweins die grösten Verheerungen in seiner Brust an, daß die unglükliche
Seele ihre Wohnung vor der Zeit verlassen muß. - -
Dieses Uebel ist in den jezigen Zeitalter sehr gemein, und man sihet öfters
Männer, Weiber und Mädgen, in taumelnder Betäubung, Es scheint auch immer mehr
einzureißen, und last sich noch nicht absehen, ob ein neuer Zeitgeist dieses
moralische Gebrechen der Menschheit einst mit einem besserern, und
unschädlichern Lieblings Genuß verdauschen oder wohl gar einen schlimmeren
herbey führen wird. Freylich ist die Gewinnsucht, und der Mißbrauch welcher auch
die beste Sache schädlich macht der Urgrund davon: So lange der Brandewein als
Arzeney gebraucht wurde, war er eine glükliche Erfindung, seit er aber als
ordinäres Gedränk bedrachtet wird, ist er ein Gift geworden.
Aber Tabak ist doch nicht so schädlich, wirst du mir entgegen sezen mein Freund.
So tödtend ist er
Rükblik
freylich nicht, doch ist der Genuß desselben ebenfalls unnatürlich, und
der Natur Anfangs aufgedrungen worden; Er greift eben so wie der Spiritus des
Brandeweins die Nerven an, und bewürkt, wiewohl in geringern Grade eine
Betäubung, und Aufwallung des Geblüdts, worauf ebenfals eine Erschlaffung, und
Unfähigkeit der Kräfte folgt; Und die Natur welche sich hierinnen eine Hülfe
darwieder sucht, verlangt je länger je öfterer die Wiederholung des Genußes, und
dieß artet den mehrentheils zu einer ekelhaften Sauerey aus, daß ein jeder der
noch Gefühl für Reinlichkeit und Ordnung hat, sich seiner Gegenwart entziehet:
und ob schon die Würkung des Tabaks nicht gradezu tödtend ist, so
bewirkt er doch durch seine hizige Schärfe welche das Geblüdt davon aufnimmt
verschiene Maladien, als Entkräftung, Sodbrennen, Colic, Verstopfung,
Kopfschmerz, stinkenden Athem. Und es läst sich nicht absehen wie die
Menschliche Vernunft einen solchen Aftergenuß?
mit einem im höchsten Grade übeln Miß-Geschmak, zu
ihren Lieblings-Genuß hat aufnehmen konnen; welcher noch oben darein mit einem
bedrächtlichen Geldaufwande verbunden ist: Wie manchen Dinst-
Aus bewirker korrigiert |
falschen Genuss |
Ueberblik.
Bote verraucht seinen ganzen Jahres-lohn in Tabake, und sezt sich
dadurch in einen leidenden Zustand; Diß war wieder eine Haupt schlechte Seite
des jezgen Zeitgeists.
Nun das war wohl das lezte? Auch über das Bißgen Tabak hast du dich nun
moqvirt,?
denkst du jezt mein Freund. Bitte um
Verzeihung; Ich weiß schon, bist auch gewissermaaßen ein Tabaksbruder, genieße
du selbigen wie du immer wilst, ich habe mir nicht vorgenommen hierinen
Gesezgeber zu machen, habe bloß über den Zeitgeist meine Beobachtungen angeben
wollen.
mockieren: sich über etwas lustig machen; gegen etwas auflehnen |
Das lezte aber ist es noch nicht,
das gröste und
wichtigste habe ich mir auf die Lezte aufbehalten; Es teucht mich aber als wenn
ich einen Discour hierüber mit dir führen müste:
, ergänzt |
Irrweg
linker Blattrand: Anmerkung mit blauem Farbstift (Heinrich Traugott Teich?) |
Du,) Das gröste, das wichtigste? Was meinst du eigendlich damit? Magst du
fragen.
Ich,) Die Glaubens-Meinungen, oder Religion.
Du,) So. Wirst doch nicht gar einen Reformator machen wollen?
Ich,) Nein nein, darzu bin ich viel zu ohnmächtig und niedrich gesessen. Und wenn
ich auch gleich so ein Mann wäre der so Etwas unternehmen könnte, würde ich mich
doch nie darzu bewegen lassen.
[...]
Seiten 183 bis 194 herausgeschnitten |
Beschluß.
Verirrung
Durch Leckereyen nie
verwöhnt, erqvikt mich jede geringe Kost: Und bey meinem sichlichen Zustande,
ist mir Eine oder Etliche leidliche und heitere Stunden ein Vorschmak der
Seeligkeit.rechter Blattrand: Anmerkung mit schwarzer Tinte (Heinrich Traugott Teich) |
Besonders ergözen mich die Freuden der Natur: jede grosse Erscheinung in
derselben, selbst die furchtbarsten Gewitterwolken sind mir das erhabenste, und
angenehmste Schauspiel, und reißt mich zu einer heiligen Ehrfurcht gegen dem
grossen Urheber derselben hin; Jedes kleine Spiel der Natur, und wenns bloß eine
künstliche Spinnwebe ist macht mir Vergnügen: Unglüklich ist der Mensch, welcher
die Freuden der Natur nicht kennt! Jeder alte grosse Baum saget mir: Siehe
Mensch: Ich war in einem kleinen Saamkern eingeschlossen, durch Gottes
immerwährende schöpferische Würkung bin ich so stark geworden. Jedes unwerthe
Gewächs saget mir: Siehe Mensch: Diese Feinheiten, Zierte, und verborgene weise
Zusammenfügung meiner Theile gab mir das grosse schöpferische Wesen. Jede Blume
saget mir: Komm her Mensch betrachte mich: Deinetwegen erhielt ich diese Pracht:
Bloß du vernünftiger Mensch bist es den ich erfreuen soll. Weißheit,
unergründliche Kunst, geheime Absichten, und Zirde ist überal angebracht.
Welche Freude, welches Glük genieße ich in diesen
Beschluß.
und andern unerschöpflichen Bedrachtungen: Wie glüklich bin ich vor
den, welcher vergraben in Sorgen und Geschäften, um seinen Reichthum zu
vermehren, seine Tage verängstet. Wie glüklich vor den, welcher keine Freuden
kennt als zu geniessen. Unmäßig zu geniessen. Wie glüklich vor den, welcher
sein Gefühl durch geräuschvolle Freuden abgestumpft, keine mehr findet
welche ihn befriedigen, und von ewiger Langweile geqvält wird. Wie glüklich vor
den, welcher aus Unwissenheit, und Aberglauben, in steter Furcht lebt; und jeden
starken Wind, jede Lufterscheinung, für Ankündigung Göttlicher Strafgerichte
ansieht. Doch Aus! Ich schliesse mit einer sehr trostreichen Odee, Eines mir
zwar unbekannten Dichters, welche aber gleich als aus meinem Herzen geschrieben
ist:?
Aus sin korrigiert |
Gedicht von Karl Friedrich Sinapius
(1752-1804), erstmals erschienen in seinen Lyrica. Von einem Schlesier fürs Jahr 1775
(Korn, Breslau 1775).
Es wurde in mehreren Lieder- und Gedichtsammlungen abgedruckt, wobei verkürzte Fassungen vorherrschen.
Es ist deshalb öfters auch unter dem Titel Bis ich schlafen werde,
d.h. mit der siebenten Strophe der hier vorgestelleten Fassung beginnend, überliefert.
So etwa bei Hoffmann von
Fallersleben, der in Unsere volksthümlichen Lieder
(2. Auflage, Leipzig 1859, S. 17)
dazu bemerkt:
"Das Lied beginnt eigentlich: Gottes Güte leitet / mich und dich ins Grab /
und hat viele Strophen. [...]"
Das Gedicht wurde mehrfach vertont, u.a. von Georg Ernst Gottlieb Kallenbach (1765-1832),
August Gottlob Fischer, Heinrich Siegmund Oswald sowie dem Schweizer Hans Georg Nägeli (1773-1836).
Hoffmann v. Fallersleben weist auf Oswalds Melodie hin, erschienen in
Oswalds Lieder beym Clavier (Breslau
1782). In Nikolaus Joachim Guilliam Evers:
Sammlung geistlicher Lieder zur Erheiterung und Beruhigung unter Uebeln und Leiden des
Lebens (Hamburg 1817) wird dagegen
J.A.P. Schulz' Melodie Warum sind der Thränen angewiesen,
die mit seinen Lieder im Volkston bey dem Klavier zu singen
(Berlin 1782) bekannt wurde.
|
Odee.
Vers 1.) | Gottes Güte leitet, Mich und Dich ans Grab, Jede Trähne gleitet, Ihm bemerket herab. |
Odee.
V. 2. | Jede Freude sendet, Er von Oben her, Jedes Unglük wendet,
|
V. 3. | Weißlich wog er Freuden, Weißlich Kummer zu: Sieh o Mensch bescheiden, Seinen Plane zu. |
V. 4. | Zage nicht, kein Leiden, Ist so groß und schwer, Wenn ein Tag voll Freuden, Nicht verschwistert wär. |
V. 5. | An mein kleines Zimmer, Schwebt dieselbe Nacht: Die im goldnen Schimmer, Mancher Fürst durchwacht. |
V. 6. | Fürst und Bettler haben, Gleiches Recht an ihm, Wurm und Engel haben, Einen Vater Ihm. |
V. 7. | Biß ich schlafen werde, Unter kühlen Sand, Führt der Herr der Erde, Mich an seiner Hand. |
V. 8. | Ist sein Rath verborgen, Dennoch ist er treu, Dennoch jeden Morgen Seine Güte neu. |
V. 9. | Kann er mich versäumen, Der für alle wacht? Der aus schlechten Leimen, Mich so groß gemacht. |
V. 10. | Kann er mich vergessen, Der den Adler Raub, Sorgsam zugemessen, Und den Käfer Laub. |
V. 11. | Sind nicht Ewigkeiten, Mein Beruf, Mein Zwek? Denn zu Seeligkeiten, Führt der schmale Weg. |
V. 12. | Duldsam, und bescheiden, Geh ich meine Bahn, Mehr soll ich nicht leiden, Als ich tragen kann. |
V. 13. | Laß die Thränen rollen, Deine Wang herab, Gottes Engel sollen, Einst sie troknen ab. |
V. 14. | Erndten wird mit Freuden, Der mit Thränen sät, Seelig, wer auch Leiden, Unter Dank empfäht. |
den 21 October 1821 dem Autor ein Enkel Karl geb.
" 30 Sept. 1825 " " [...]
" Heinrich "
" 13 April 1833 des Letztern Frau Amalie "
" 18. Juli 1858 " " Sohn Paul "
" 1 April 1860 " " Tochter Martha "
" 25 Juli 1862 " " Zwillinge Alma [und] Martin"
" 18 " 1864 " " Söhnchen Justus gest. 10 Tage alt
" 6 " 1865 " " Tochter Agnes geb.
" 30 Sept. 1825 " " [...]
unentziffert |
" 13 April 1833 des Letztern Frau Amalie "
" 18. Juli 1858 " " Sohn Paul "
" 1 April 1860 " " Tochter Martha "
" 25 Juli 1862 " " Zwillinge Alma [und] Martin"
" 18 " 1864 " " Söhnchen Justus gest. 10 Tage alt
" 6 " 1865 " " Tochter Agnes geb.
Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
den 10. März 1867 des Letzteren Sohn Karl
" 11. Mai 1869 " " " Tochter Marie
" 30. August 1870 " " " Sohn Georg
" 16. Juni 1872 " " " Sohn Alwin
" 25. Januar 1875 " " " Tochter Laura
1 April 1873 Versetzung " " nach Penig
" 11. Mai 1869 " " " Tochter Marie
" 30. August 1870 " " " Sohn Georg
" 16. Juni 1872 " " " Sohn Alwin
" 25. Januar 1875 " " " Tochter Laura
1 April 1873 Versetzung " " nach Penig
Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Es wird jetzt erst von mir die Nachricht vermißt ob nicht meine
Großmutter auch eine geb. Teich war, die in demselben Hause zu Großharthau
b. Bischofswerda geboren u. gestorben ist, wo mein Vater u. ich geboren
binsind.
Der Autor dieser "Erzählung" ist geboren und dessen Vater hatte eine Besitzung in Kleinharthau, unweit von der jetzigen Eisenbahnhaltestelle Harthau. Noch früher hat es unter meinen Vorfahren auch einen Ortsrichter Teich gegeben, von welchem sich in der Gemeinde Luda noch viele Schriften vorfinden sollen.?
Der Name kommt dort oft vor
und ich glaube in den alten Hauskaufcontracten nur den Namen „Teich“ gelesen
zu haben; ich war etwa 18 Jahr alt als Großmutter (väterlicherseits) 73 Jahr
alt starb.
Nachträglich naher bemerkt von Heinrich Traugott Teich
Amtsstraßenmeister seit 1840
pensionirt am 14./9. 1901.
mit Bleistift gestrichen (Heinrich Traugott Teich) |
Der Autor dieser "Erzählung" ist geboren und dessen Vater hatte eine Besitzung in Kleinharthau, unweit von der jetzigen Eisenbahnhaltestelle Harthau. Noch früher hat es unter meinen Vorfahren auch einen Ortsrichter Teich gegeben, von welchem sich in der Gemeinde Luda noch viele Schriften vorfinden sollen.?
Gemeint ist vermutlich Johann Andreas Teich, Richter in Harthau, von dem angeblich eine Handschrift mit dem Titel "Harthauer Alte Wissenschaften" (um 1750?) existiert. |
Nachträglich naher bemerkt von Heinrich Traugott Teich
Amtsstraßenmeister seit 1840
pensionirt am 14./9. 1901.
Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
Seite
160
160
Anmerkung mit Bleistift (Heinrich Traugott Teich) |
– 101 – 102 –
160
Anmerkung mit rotem Farbstift (Heinrich Traugott Teich?) |